bearbeitet: 15.01.2013
Ziffer 5 ergänzt: 09.12.2014
Das Verhältnis von Theorie und Praxis
oder
wie falsche theoretische Grundauffassungen die Entwicklung behindern
Oft wird in vielen Lebensbereichen von der sogenannten grauen Theorie gesprochen. Hinter diesem meist
mit negativen Inhalten empfundenen Begriff verbergen sich verschiedene Haltungen unterschiedlicher Personen
zu praktischen Tätigkeiten im Beruf und im täglichen Leben.
- Manche schätzen theoretische Erwägungen wenig, weil sie vermeintlich unverständlich seien und die
Forderung ihrer Berücksichtigung die Ausführung einer Arbeit oder Tätigkeit ihrer Auffassung nach erschwere
oder behindere. Wird die Theorie dann auch noch mit vielfach unbeliebter Mathematik untermauert, verhärten
sich die Ansichten. Solche Menschen verhalten sich meist auch ablehnend zu Modifizierungen ihrer Tätigkeiten
durch theoretisch-wissenschaftliche Studien mit dem Ziel ihrer Verbesserung oder Effektivierung.
- Manche lehnen theoretische Überlegungen rundheraus ab, weil sie angeblich nichts bringen. Es seien
zum größten Teil wissenschaftliche Hirngespinste, ersonnen von Menschen, die praktisch nichts Wirkliches
bewerkstelligen können, weil sie, wie jene meinen, zwei linke Hände hätten. Solche Menschen verrichten ihre
Tätigkeiten meist ohne Einbeziehung ausreichender theoretischer Grundlagen und erzielen bescheidene Erfolge
mit der Methode Versuch und Irrtum.
- Manche halten nichts von theoretischen Grundsätzen, weil sie meinen, Theorie und Praxis seien zwei völlig
verschiedene Dinge, das eine habe mit dem anderen nichts zu tun. Die Praxis funktioniere stets auch ohne die
Theorie. Die Theorie werde nicht benötigt, sie brächte keinen Nutzen. Das Leben könne ausschließlich durch die
Praxis gemeistert werden. Solche Ansichten richten sich häufig auch gegen jede Art der Grundlagenforschung,
die als nutzlose Spielerei angesehen wird.
In Wahrheit ist aber jegliche praktische Tätigkeit durch theoretische Überlegungen, Berechnungen, wissenschaftliche
Entdeckungen und Forschungsergebnisse unterlegt. Jeder zweckmäßig gestalteten praktischen Tätigkeit geht immer
die Theorie voraus. Viele technische Errungenschaften unserer Zeit sind überhaupt erst im Ergebnis jahrelanger
Grundlagenforschungen auf den verschiedenen Gebieten möglich geworden. Denken wir zum Beispiel an die riesige
Palette an galvanischen Elementen, Batterien, Knopfzellen und Kleinakkus, die heute nicht mehr aus dem Leben
wegzudenken ist. Ohne die grundsätzlichen Entdeckungen, Erfindungen, Forschungen und Berechnungen von Galvani,
Volta und vielen anderen Wissenschaftlern, die schon auf die 80er Jahre des 16. Jahrhunderts zurückgehen, wäre ihre
Existenz gar nicht möglich. Oder denken wir an die heutige in allen Lebensbereichen verwendete hochentwickelte
Computertechnologie, die es ohne die Grundlagenforschung auf den Gebieten Halbleiter, Kristallstrukturen, Atomaufbau
und vielen anderen nicht geben könnte. Aber auch im gesellschaftswissenschaftlichen Bereich gibt es theoretische
Grundlagen, auf denen die Funktion eines gesellschaftlichen Systems beruht. Gerade hier werden die gravierenden
Fehler, die durch politische Ignoranz dieser Gesetzmäßigkeiten entstehen, zunehmend offenkundiger. Dazu
ausführlicher ein wenig später.
Anhand einer Reihe von Beispielen soll nachfolgend gezeigt werden, welche Zusammenhänge zwischen Theorie
und Praxis bestehen, wie Gesetzmäßigkeiten oft sträflich ignoriert und wider besseres Wissen umgangen werden,
und wie dadurch das Erreichen von Fortschritten auf dem jeweiligen Gebiet nachhaltig gebremst, ja zum Teil
gänzlich verhindert wird.
- Der BMI - ein Irrtum der Biologen
Beginnen will ich mit einem Beispiel aus dem Bereich der Humanbiologie. Zu vielen wissenschaftlichen und
auch praktischen Zwecken ist es erforderlich, die Körperfülle (Figur, Beleibtheit, Körpergewicht in Abhängigkeit
von der Körperhöhe) eines Menschen oder auch eines anderen Forschungsobjektes zu bestimmen. Zur Lösung
dieser Aufgabe hat sich ein Verfahren etabliert, das mathematisch-physikalisch auf einer völlig unsinnigen
Voraussetzung basiert, der sogenannte Body Mass Index (BMI). Mit ihm wird die Körpermasse ins Verhältnis
zum Quadrat der Körperhöhe gesetzt. Bereits ein im Physikunterricht aufmerksamer Schüler kann ohne Mühe
erkennen, daß das Verfahren zur Bestimmung eines Maßes für die Körperfülle völlig ungeeignet ist. Mit keinen
auch noch so ausgeklügelten Methoden kann damit ein objektiver Zusammenhang zwischen Körpermasse und
Körpergröße erlangt werden, und schon gar nicht wird man zu vergleichenden Kriterien zwischen unterschiedlich
großen Körpern gelangen können. Warum das so ist? Es ist elementare Physik: Masse existiert im Raum, eine
Fläche (Quadrat der Körperhöhe!), allgemein eine Ebene, hat keine Masse, mit ihr kann auch eine Masse nicht
beschrieben werden. Dieser grundsätzliche Naturzusammenhang wird beim BMI ignoriert, wodurch das Verfahren
bereits im Grundsatz gegenstandslos ist und keinerlei wissenschaftlich brauchbare Ergebnisse erbringen kann.
Dennoch wird seit Jahrzehnten daran festgehalten, obwohl es ein vollständig ausgearbeitetes wissenschaftlich
tragfähiges Verfahren gibt. Die Grundlagen dafür wurden bereits 1921 durch den Schweizer Arzt und Physiologen
Fritz Rohrer veröffentlicht. Es fußt auf dem Verhältnis der Masse eines Körpers zum Kubik seiner Höhe. Und dies
ist letztendlich die einzig logische Herangehensweise. Einen anderen wissenschaftlich verwendbaren Ansatz gibt
es nicht. Die Untauglichkeit des BMI und die Unzulänglichkeit der ermittelten Werte ist den meisten Anwendern
wohlbekannt, deshalb werden die erhaltenen Werte stets mit umständlichen, völlig aus der Luft gegriffenen
Korrekturen mit Hilfe von Tabellen oder Grafiken bis zu einer scheinbaren Brauchbarkeit verändert, im Ergebnis
ist vom ermittelten Wert nichts mehr übrig. Vergleiche mit anderen Meßreihen sind unmöglich. Alle diese Korrekturen
sind fern von jeglicher Wissenschaftlichkeit. Ausführlichere Beschreibungen und Begründungen findet
man in "Der sogenannte Body Mass Index und der grundsätzliche
Irrtum" auf meiner Internetpräsentation.
- Das Klima der Erde und die Politik
Ein weiteres Beispiel: Der Klimawandel auf unserem Planeten Erde. In verschiedenen Wissenschaften ist
gezeigt worden, daß sich die Erde gegenwärtig in einer Phase der allgemeinen Erwärmung befindet. Durch
Forschungsarbeiten in der Geologie und auch in anderen Wissenschaften ist zweifelsfrei nachgewiesen worden,
daß die Erde im Verlaufe ihrer Entwicklung schon immer starken Klimaschwankungen unterworfen war, auch
als es den Menschen noch nicht gab. Eiszeiten und Wärmeperioden haben einander ständig in unregelmäßigen
Abständen abgelöst. Dies ist ein kaum beeinflußbarer natürlicher Ablauf, der wissenschaftlich unstrittig ist.
Klimaschwankungen sind das Ergebnis der ständig ablaufenden chaotischen Prozesse auf unserem Planeten,
die von geologischen und kosmischen Kräften gesteuert werden. Die meisten Forschungsergebnisse auf diesem
Gebiet werden nun aber so dargestellt, als sei ausschließlich der Mensch als Auslöser dieser allgemeinen
Erderwärmung anzusehen. Nur wenige Stimmen weisen darauf hin, daß dies weit außerhalb der Tatsachen
liegt. Zweifelsfrei hat der Mensch mit seiner inzwischen auf über 7 Milliarden angewachsenen Individuenzahl
einen Einfluß auf das Klima, insbesondere durch seine naturschädigende Tätigkeit im Umgang mit den natürlichen
Ressourcen, jedoch begrenzt sich dieser Einfluß, wie man inzwischen weiß, auf wenige Prozente. Der theoretische
Grundfehler dieser Darstellungsweise liegt in der Überbetonung der Tätigkeit des Menschen. Die Versuche,
mit Hilfe internationaler Vereinbarungen die Erderwärmung in einer vorgegebenen Zeit auf 2 Kelvin begrenzen
zu wollen, ist wohl eher eine ungezügelte politische Phantasterei, zu deren Sinn und Zweck weitere Äußerungen
an dieser Stelle sicher unangebracht sind. Der Mensch, der sich ein solches Ziel stellt, unterliegt mit Sicherheit
einer ausgeprägten Selbstüberschätzung seiner Möglichkeiten in der Beeinflussung der geologischen und der
kosmischen Kräfte.
- Ein Aberglaube zu Raumzeit und Materie - die Urknallhypothese
Das folgende Beispiel berührt eine Wissenschaft, die sich der sogenannten "Entstehung" des Universums
widmet, die Kosmologie. Seit über 60 Jahren ist diese Wissenschaft als Gesamtdisziplin dem unerklärbaren
Aberglauben verfallen, es habe einen Anfang des Universums gegeben, es sei aus einem unendlich dichten
und unendlich heißen Urzustand vor 13,7 Milliarden Jahren mit einem Urknall entstanden und expandiere
seitdem beschleunigt. Dieser theoretische Grundsatzfehler legt derzeit noch immer die Weiterentwicklung
der Kosmologie als Wissenschaft in Ketten und behindert auch die Astronomie durch die bewußte Negierung
eindeutiger Beobachtungsergebnisse, welche diese Ansicht widerlegen. Fortschritte in der Forschung sind mit
diesem Denkmodell nicht in Sicht und nicht zu erwarten. Auch wenn seit Aufkommen der Theorie Hunderte, ja
Tausende astronomische Beobachtungen und viele detaillierte logische Überlegungen zeigen, daß es so nicht
gewesen sein kann, wird an dieser auf der Schöpfungsidee fußenden Auffassung festgehalten. Die Verteidiger
der Urknallhypothese sind auch nicht von der großen Zahl bedeutender Wissenschaftler und Persönlichkeiten
des internationalen Lebens zu beeindrucken, über 500 haben eine öffentliche Petition gegen die Urknallhypothese
unterzeichnet. Niemand ist bereit, die Unendlichkeit der Existenz des Universums in Raum und Zeit und Ewigkeit
der chaotischen Materiebewegung in Betracht zu ziehen und für Forschungsansätze zu akzeptieren. Mit
allerlei unwissenschaftlichen Spekulationen, Vermutungen und Erfindungen wird immer aufs Neue versucht,
die Unzulänglichkeiten der Theorie zu verdecken und die unhaltbare Urknalltheorie zu verteidigen. Dazu werden
fiktive Gebilde abseits jeder wissenschaftlichen Methode herangezogen, wie zum Beispiel die sogenannte "dunkle
Energie", die "dunkle Materie" oder die grotesken Rechnereien zu einer vermeintlichen "Nukleosynthese". Um die
Urknalltheorie zu erhalten, wird sogar so weit gegangen, die Existenz der Raumzeit und aller Naturgesetze zum
Zeitpunkt des Urknalls mit der Behauptung zu leugnen, beides sei erst mit dem Urknall entstanden. Sogar der
Materiebegriff wird zur Stützung der Theorie verfälscht, indem die Energie von der Materie getrennt und ihr
gegenübergestellt wird. All das kann ausführlicher in meinem Beitrag
"Die Urknallhypothese,
eine Sackgasse der kosmologischen Forschung" sowie in weiteren Aufsätzen in meiner Rubrik
"Naturwissenschaftliche Beiträge" nachgelesen werden.
- Die hinderliche Dezentralisierung der Bildung
Ein interessantes Beispiel für die Auswirkungen einer theoretischen Fehlleistung auf einem gesellschaftswissenschaftlichen
Gebiet ist die allgemeine Misere im bundesdeutschen Bildungssystem. So werden zum Beispiel in jedem
Bundesland Lehrer ausgebildet, deren Abschlüsse in anderen Bundesländern dann keine Gültigkeit haben,
so daß sie nicht bundesweit eingesetzt werden können. Generell werden die bereitzustellenden finanziellen
Mittel für Bildung und Erziehung durch die Länderparlamente immer weiter gekürzt. Grundsätzlich wird dadurch
Deutschlands wissenschaftliches und wirtschaftliches Leistungspotential immer stärker von der internationalen
Spitze verdrängt. Neuere Bemühungen zum Beispiel um einheitliche Maßstäbe in den Anforderungen an das Abitur
scheitern daran, daß sich die verantwortlichen Gremien der Länder nicht einigen können. Und wo liegt nun der
theoretische Grundfehler? Er ist elementar: Es ist der erklärte politische Grundsatz, Bildung sei "Ländersache".
In einer Zeit, in der ein Bundesbürger samt Familie für einen angemessenen Arbeitsplatz ohne Not das Bundesland
wechselt, die Kinder der Familie dann in völlig andere Schulsysteme geworfen werden, in denen sie je nach
Lage entweder nicht folgen können oder sich langweilen, ist diese Ansicht nicht mehr vertretbar. Bildungspolitik
muß Bundespolitik sein, sonst bleibt das gesamte System über kurz oder lang auf der Strecke. Bei der Analyse
des Hochschulsystems ergeben sich ganz ähnliche Schlußfolgerungen. So wird sichtbar, wie dieser theoretische
Grundfehler die Entwicklung blockiert. Auch aus einer ganz praktischen Sicht ist das System nicht aufrechtzuerhalten.
Ich stelle die Frage: Aus welchem Grunde muß man in den Bundesländern 16 Bildungsministerien mit all
ihren Folgekosten unterhalten, von denen sich ein jedes berufen fühlt, das Fahrrad immer wieder neu zu erfinden,
wenn doch eines auf Bundesebene genügen würde? Auch wenn es dreimal so groß wäre, ergäben sich enorme
finanzielle Einsparungen. Betrachtet man nun noch weiterblickend Europa als Gesamtstruktur, könnte dort die
Koordination bildungspolitischer Aufgaben sehr viel einfacher werden, würde es keine künstlich installierten
Hierarchien geben. Bildung ist wahrlich zu bedeutend, als daß man sie im Zeitalter der Globalisierung gewaltsam
dezentralisieren kann.
- Der Berliner Flughafen - ein politischer Fehlschlag
Ein anderes Beispiel. Das Desaster BER. Bauplanung, Bauausführung und Organisation am neuen Berliner
Flughafen befinden sich auf einem Niveau, das starke Zweifel an der Befähigung der ausführenden Organe
erzeugt. Schließlich ist eine Verzögerung des Abschlusses um mehrere Jahre, die mit der Vergrößerung der
Gesamtkosten auf ein Vielfaches einhergeht, bei einem solchen Großprojekt im Milliardenbereich kein Kavaliersdelikt.
Dabei ist noch gar nicht von den Peripheriefirmen gesprochen, die dort investiert haben und nun wegen des
Umsatzausfalls ihre entstandenen Kosten nicht mehr tragen können. Und wo liegen die Ursachen? Man sucht
sie im Aufsichtsrat. Das wäre sicher richtig, würde man bei der Beurteilung der zwingenden Logik folgen und
ihm bei einer Neubesetzung die erforderliche fachliche Kompetenz verleihen. Aber getan wird genau das Falsche.
Man ersetzt eine Figur durch eine andere des gleichen Formats und hat damit defacto nichts geändert. Wo ist
nun der theoretische Grundfehler? Wieder ist er ganz einfach zu erfassen: Im Aufsichtsrat eines solchen
Großprojektes haben Politiker nichts zu schaffen, und schon gar nicht an der Spitze. Dort gehören Fachleute
hin, die über die erforderlichen wirtschaftswissenschaftlichen, allgemeinwissenschaftlichen, technischen und
insbesondere bautechnischen Kenntnisse verfügen. Diese Fachleute müssen ständig präsent sein und
dürfen keine anderen Aufgaben haben, wie das beim Ministerpräsidenten eines Landes unausweichlich
der Fall ist. Eine solche Aufgabe kann eben nicht nebenbei erfüllt werden. Zudem brauchen sie wissenschaftlich
begründete Führungseigenschaften und ein hochangesetztes Durchsetzungsvermögen. Sicher ist unstrittig,
daß einige solche Kräfte im Projekt BER vorhanden sind, aber sie werden von den politischen Konventionen
ausgebremst, mit denen die Vorsitzenden im Aufsichtsrat aus wahltaktischen Gründen die Lorbeeren einzustreichen
beabsichtigen. Politikern geht es naturgemäß nicht um das fachliche Anliegen, sondern um parteipolitische
Interessen und um Machtstrukturen. Und ein solcher Grundsatz ist an dieser Stelle völlig unbrauchbar. Mit
ihm wurde die Misere von Beginn an vorbereitet und organisiert.
09.12.2014, knapp 2 Jahre nach meinem Beitrag:
Erstaunlich, erstaunlich. Hält jetzt die Wissenschaft Einzug? Man hat es nun doch noch begriffen:
Brandenburg wird keinen Minister mehr in den Aufsichtsrat entsenden. Späte Einsicht, aber besser
als nie. Die Berliner Politik hat sich noch nicht geäußert, dort braucht man noch etwas Zeit.
Wir warten. Die Hoffnung stirbt zuletzt. Übrigens: Wäre man nicht gut beraten, im Angesicht der
vielzähligen Korruptionsvorfälle einen Ermittler der Kriminalpolizei zu integrieren?
- Die Unmöglichkeit des quantitativen Vermessens der Qualität
Ich will jetzt ein weiteres Beispiel aus dem Bildungsbereich betrachten. In der rein wissenschaftlichen
Arbeit an den Universitäten und Hochschulen werden die Forschungsmittel auf der Grundlage falscher
Parameter vergeben. Es werden untaugliche Wettbewerbe organisiert, die der wissenschaftlichen Arbeit
eher abträglich sind. So wird die Qualität der Forschungsarbeit in der Regel anhand der Zahl der Veröffentlichungen
durch die Forschungsmitarbeiter bewertet. Ausgewertet wird auch die Zahl der Zitierungen dieser Mitarbeiter
in anderen Veröffentlichungen. Der Inhalt der Veröffentlichungen spielt dabei die weit geringere Rolle. Dies
ist das Fazit des hier enthaltenen theoretischen Grundfehlers: Es wird der Versuch unternommen, Qualitätskriterien
mit quantitativen Parametern meßbar zu machen. Das ist in kleineren Detailfragen sicher möglich, wenn es aber
zum Ausschließlichkeitsprinzip gedeiht, ist das Unterfangen zum Scheitern verurteilt. Heute ist diese Entwicklung
bereits so festgefahren, daß der Fehler schon gar nicht mehr bemerkt wird. Um das zu verdeutlichen, zitiere ich
aus dem Buch des Schweizer Wirtschaftswissenschaftlers Prof. Dr. Mathias Binswanger, Fachhochschule Solothurn,
Sinnlose Wettbewerbe - warum wir immer mehr Unsinn produzieren.
"In der modernen Universität geht es also nur noch am Rande um Erkenntnis, auch wenn bei Sonntagsreden
immer noch so getan wird, als ob dieses Ziel weiterhin im Vordergrund stünde. Moderne Universitäten sind
einerseits Fundraising-Institutionen, (fundraising, engl. = Finanzmittelbeschaffung, Pohl) die es darauf anlegen,
möglichst viele Forschungsgelder für sich abzuzweigen. Und andererseits sind sie Publikationsfabriken, die
versuchen, ihren Publikationsoutput zu maximieren. Demzufolge ist der ideale Professor eine Mischung aus
Fundraiser, Projektmanager und Vielpublizierer, bei dem nicht die Suche nach Erkenntnis, sondern der messbare
Beitrag zur wissenschaftlichen Exzellenz im Vordergrund steht. Und damit die Professoren ihren Beitrag zur
Exzellenz auch brav leisten, gibt es zusätzlich zu den traditionellen Dekanen an jeder Abteilung neuerdings
auch Fakultätsmanager, und der Rektor bzw. Präsident ist heute eine Art CEO, (Chief Executive Officer, engl.
= Leitender Direktor eines Unternehmens - Pohl) der von oben herab neue Strategien zur Erreichung von
noch mehr Exzellenz diktiert. Forschung wird zum Mittel im Kampf um "Marktanteile" von Universitäten und
Forschungsinstituten (Münch 2009 a, S. 148-164)." ... "Es sind vor allem zwei künstlich inszenierte Wettbewerbe,
nämlich der Wettbewerb um möglichst viele Publikationen und der Wettbewerb um möglichst viele Forschungsgelder
über sogenannte Drittmittelprojekte, die zur Produktion von Unsinn animieren. Beide Indikatoren (Publikationen,
Drittmittel), um welche die künstlichen Wettbewerbe veranstaltet werden, spielen bei heutigen Forschungsrankings
eine zentrale Rolle." ... "Grundlagenforschung manifestiert sich hingegen stets in Publikationen. Was ist also
naheliegender, als den Output bzw. die Produktivität eines Wissenschaftlers oder eines Instituts anhand der
Zahl der Publikationen zu messen? Denn ist es nicht so, dass viele Publikationen das Resultat von viel Forschung
sind, die unser relevantes Wissen erhöhen?" Das widerlegt Binswanger mit dem Gleichnis: "Publikationen bewirken
zwar eine Zunahme von beschriebenen Seiten, aber deren Zahl sagt nichts aus über die Bedeutung der
Forschungsleistungen eines Wissenschaftlers oder einer Institution, genauso wenig wie die Zahl der gespielten
Töne etwas über die Qualität eines Musikstücks aussagt."
Dem ist nach meiner Auffassung nichts hinzuzufügen.
- Die pädagogische Kontraproduktivität der Medien
Das folgende Beispiel bezieht sich auf gesamtgesellschaftliche Wirkungsmechanismen bei der Erziehung
heranwachsender Generationen. Das allgemeine Erziehungsziel besteht letztendlich in der Heranbildung
von Menschen mit gesellschaftsnützlichen Verhaltensweisen und Idealen. Grob zusammengefaßt wäre das
die Achtung vor dem Leben, der Natur und der Arbeit, die Befähigung zum qualifizierten Mitwirken bei der
Gestaltung der menschlichen Gesellschaft, das Einbringen der eigenen Person in den Fortschritt und die
Weiterentwicklung. Der theoretische Fehler bei der Bewerkstelligung dieser Aufgabe besteht im Fehlen einer
gesamtgesellschaftlichen Grundkonzeption, mit der diese Ziele frei von wesentlichen und charakteristischen
Störungen erreicht werden könnten. Und in der Nichtbeachtung dieses theoretischen Aspekts liegt in der
heutigen Gesellschaft der Schwachpunkt. Mediale Störeinflüsse für den Erziehungs- und Bildungsprozeß haben
in der modernen Gesellschaft Größenordnungen angenommen, die mit den nützlichen Einflüssen vergleichbar
sind. Wenn zum Beispiel ein Heranwachsender bis zur Vollendung seines 12. Lebensjahres über die ständig
zur Verfügung stehenden Medien etwa 3000 Morde angesehen hat, wie soll er dann Achtung vor dem Leben
entwickeln können? Wie soll er bei der ständigen Beeinflussung durch Filmdarbietungen, in denen viele Probleme
fast ausschließlich mit vorgehaltener Waffe gelöst werden, erkennen lernen, daß man mit einer Waffe nicht auf
Menschen zielt, geschweige denn abdrückt? In den psychologischen Wissenschaften sind diese Mechanismen
längst erkannt, in der praktischen Anwendung gibt es jedoch nicht die allergeringsten Ansätze für ein brauchbares
Ergebnis bei der Zurückdrängung solcher Einflüsse. Bezeichnend scheint mir hierbei das Verhalten der Gesellschaft
nach den in den letzten Jahren immer häufiger werdenden Amokläufen. Gesprochen wird in der Auswertung
intensiv über verschärfte Waffengesetze, bessere Überwachungsmaßnahmen, höhere Polizeipräsenz und
stärkere Erziehungspräventionen. Kein Wort hingegen fällt über die Unterbindung von Gewaltdarstellungen,
Kriegsverherrlichungen und Menschenverachtung in den Medien und in den massenweise vorhandenen brutalen
Computerspielen, die den Heranwachsenden uneingeschränkt zugänglich sind, und mit denen sie das Töten
mit leidenschaftlicher Hingabe trainieren können. Solche grundsätzlichen theoretischen Aspekte werden bei
der Behandlung dieser Themen völlig ausgeblendet. Wenn einer mit einem Hammer zahlreiche Fensterscheiben
einschlägt, wird es wenig nützen, ihm den Hammer wegzunehmen. Es könnte schon eher erfolgreich sein,
würde man ihn zum zweckentsprechenden Umgang mit dem Werkzeug befähigen.
- Das Hartz-IV-Debakel
Einen bereits allgemein bekannten theoretischen Fehler findet man in einem Beispiel aus der bundesdeutschen
Sozialpolitik. Wird ein Arbeitnehmer in der Bundesrepublik Deutschland arbeitslos und kann bis zum Ablauf der
Zahlungsfristen aus seiner Arbeitslosenversicherung nicht wieder in den Arbeitsprozeß eingegliedert werden,
erhält der Sozialleistungen aus dem Fond der Hartz-IV-Leistungen, die verbunden sind mit weiteren Vergünstigungen
(Mietbeihilfe, Heizkostenerstattung, diverse Sonderzuwendungen). Das ist insoweit in Ordnung, als es dem
Grundsatz entspricht, daß niemand aus der Gesellschaft ausgegrenzt werden darf. Jedoch hat dieses Versorgungsprinzip
einen einschneidenden theoretischen Fehler: Die Hartz-IV-Leistungen sind zusammen mit den weiteren
Vergünstigungen häufig höher als der Arbeitslohn für eine weniger qualifizierte Arbeit. Das führt zwangsläufig
dazu, daß für einen Arbeitslosen ohne besondere Qualifizierung der Anreiz entfällt, sich um eine Arbeit zu
bemühen, wenn er nicht selbst in einer Arbeit ein Mittel zur gesellschaftlichen Anerkennung sieht. Die Aufnahme
einer Tätigkeit führt im bestehenden System gegenüber dem Hartz-IV-Status oft zu einem Verlust an finanziellen
Mitteln. Obwohl diese Tatsache allen Politikern bekannt ist, geschieht nichts, um diese Diskrepanz aufzuheben.
In der Folge entsteht ein Heer von Arbeitslosen, das arbeitsunwillig ist und die fehlenden eigenen Anstrengungen
zur Wiedereingliederung in den Arbeitsprozeß als normal ansieht. So wird es zu einer moralisch und ökonomisch
nicht vertretbaren Dauerbelastung der Gesellschaft. Es ist hier nicht der Ort, die Methoden der Abänderung
dieses offenen Mißstandes vorzuschlagen oder zu diskutieren, es steht aber sicher außerhalb jedes Zweifels,
daß der Zustand so nicht belassen werden kann. Die Aufhebung kann nur so aussehen, daß der genannte
theoretische Grundfehler beseitigt wird. Jede Arbeit muß mehr einbringen als der Status der Arbeitslosigkeit.
Unsere gegenwärtige Führung jedoch scheitert im Handeln an dieser elementaren Logik.
- Was Erziehung wirklich ist
Hier noch ein Beispiel aus den Erziehungswissenschaften. Die in den 70er Jahren des vergangenen
Jahrhunderts aufgekommene sogenannte antiautoritäre Erziehung ist ja, wie allgemein bekannt, gescheitert.
Die Gründe dafür lassen sich in wenige Sätze fassen. Heranwachsende, die auf der Basis einer Pseudofreiheit
erzogen werden, unabhängig von äußeren Gegebenheiten alle Entscheidungen ausschließlich nach eigenem
Ermessen zu fällen, werden nicht auf das Leben in der Gesellschaft vorbereitet, sie werden im täglichen
Leben scheitern müssen. Jeder Mensch hat als Mitglied einer Gemeinschaft Vorgesetzte oder mindestens
Übergeordnete, die für die Mitglieder der Gemeinschaft Rechte und Pflichten festlegen. Dies ist ein gesetzmäßiger
Vorgang, ohne den eine komplexe Gesellschaftsstruktur nicht funktionieren kann. Die Ablehnung jeglicher
Autorität entspricht folglich nicht den objektiv wirkenden Gesetzen einer Gesellschaftsstruktur. Aber auch
die Erziehung ausschließlich mit Drill und Unterordnung unter vorangestellten Willen wäre kein verwendbares
Erziehungsprinzip, weil es nicht die schöpferischen Kräfte des Individuums freisetzt, die die Entwicklung
voranbringen. Der theoretische Grundsatz muß deshalb lauten: Erziehung ist eine Einheit von Überzeugung
und Zwang. Beobachtet man die heutige Praxis, so bemerkt man, daß das Phänomen der antiautoritären
Erziehung auch gegenwärtig nicht völlig überwunden ist. Das beginnt bereits im Elternhaus. Viele Eltern
scheuen die klare Festlegung und Durchsetzung notwendiger Ordnungsprinzipien gegenüber ihren Kindern,
teils aus Bequemlichkeit, teils aus Mangel an Befähigung. Die Folge sind aufsässige Heranwachsende, die
sich gegen die elterliche Autorität stemmen. In den heutigen Schulen haben die Lehrer überhaupt keine
Druckmittel mehr, um eine festgelegte Ordnung durchzusetzen. Hier wird ausschließlich auf Einsicht der
Schüler nach Diskussion gesetzt. Die Folge ist verfallende Disziplin, die an verschiedenen Schulen bereits
zu so chaotischen Zuständen führt, daß die Erziehungs- und Bildungsaufgaben nicht mehr erfüllt werden
können. So bleibt nicht aus, daß unter solchen Bedingungen Heranwachsende auch zu Straftätern werden
können, die erst später zur Kenntnis nehmen müssen, daß sie Gesetze nicht umgehen können, sondern
einhalten müssen. Stehen Sie dann vor den Organen der Staatsmacht, offenbaren sie sich als unkooperativ,
frech und maßen sich an, Vertreter der Staatsmacht, zum Beispiel der Polizei, nach Belieben zu beleidigen
und zu verunglimpfen. Meines Erachtens haben auch die Staatsorgane viel zu wenig Druckmittel, solche
Straftäter zur Einsicht zu bringen.
- Sprachgestalterisches Wirken - oder: Wem gehört die Sprache?
Besonders drastische Beispiele für die Ignoranz gegenüber wissenschaftlichen Erkenntnissen und Grundlagen
findet man in der Sprachwissenschaft. Naturgemäß gibt es in der Gesellschaft Gruppen, die erweiterte Möglichkeiten
haben, unsere Muttersprache zu beeinflussen. Dazu zählen Politiker, Mitarbeiter im Bildungssystem, Mitarbeiter der
Medien, Werbefachleute und viele andere. Der qualifizierte Umgang mit der Sprache ist dabei stark abhängig von
der vorangegangenen Spracherziehung und -bildung solcher Personen. Jedoch findet man gegenwärtig ein heilloses
Revoluzzertum vor. Zu viele maßen sich an, sprachgestalterisch wirksam zu werden, ohne die dafür erforderlichen
sprachwissenschaftlichen Kenntnisse und das notwendige Sprachgefühl zu haben. Da wird eine völlig unqualifizierte
Rechtschreibreform fabriziert und dem Volk per Erlaß aufgezwungen, für die es keinerlei Notwendigkeit gegeben hat.
Da wird eine unnütze, populistisch angetriebene Gendersprache ins Leben gerufen, in der durch permanente
Doppelnennung männlicher und weiblicher Formen unerträgliche Sprachblasen entstehen, die überhaupt nicht
"frauengerechter" sind, sondern lediglich die Sprache verunstalten. Das Ganze soll dann mit dem hochtrabenden
Begriff politische Korrektheit gerechtfertigt werden; schlimmer noch, man nennt es gar political correctness.
In der Werbung und leider auch in wissenschaftlichen Ausarbeitungen fühlt man sich berufen, all und jedes unter Vermeidung
des Deutschen mit einer unaufhaltsamen Schwemme englischer Vokabeln anzubieten. Teile des Volkes werden so
animiert, tatkräftig am Abschlachten der deutschen Sprache mitzuwirken. Da wird versucht, im Namen der Wissenschaft
das sogenannte Kietzdeutsch, die Sprechweise ausländischer Mitbürger, die nicht oder noch nicht richtig Deutsch
können, als neuen deutschen Dialekt zu deklarieren. Das alles und noch vieles mehr hat seinen unrühmlichen
Ausgangspunkt in unseren allgemeinbildenden Schulen, in denen in den letzten Jahrzehnten zunehmend die
Spracherziehung zum Ressort des Deutschlehrers erklärt wird. Hierin liegt der theoretische Grundfehler, der die
heutige Sprach"entwicklung" nachhaltig prägt. Die Lehrkräfte fühlen sich mit Ausnahme der Deutschlehrer nicht
mehr für die Spracherziehung zuständig. Beobachtungen zeigen, daß Teile davon selbst kein gepflegtes Deutsch
mehr sprechen, nicht ohne Folgen für die ihnen anvertrauten Kinder und Jugendlichen. Kinder und Jugendliche, die
heute noch ein gutes Deutsch erlernen und dies auch wollen, müssen das im Elternhaus mitnehmen können, außerhalb
geschieht zur Sprachentwicklung nichts Nennenswertes mehr. Selbst bei einigen Deutschlehrern erschöpft sich die
Spracherziehung im Unterrichten der Orthographie und Grammatik. Die Folge davon ist der zunehmende Verfall des
Kulturgutes Muttersprache, weil die Zahl derer, die den Verfall bemerken kann und deshalb gegensteuert, rückläufig
ist. Zwei Dinge sind dringend geboten: Die Wiederherstellung der Verantwortung des gesamten Lehrkörpers an den
Schulen für die Spracherziehung und die verstärkte Spracherziehung in der Lehrerbildung an den pädagogischen
Hochschulen.
- Mitteleuropäische Sommerzeit - außer Spesen nichts gewesen
Als letztes Beispiel soll die halbjährliche Uhrzeitumstellung in Europa genannt werden. Sie wurde nach
mehreren Abwandlungen und zeitweiligen Aussetzungen (1919 bis 1939, 1950 bi 1980) mit dem Ziel der
Energieeinsparung 1981 wiedereingeführt. Daß dieser gewünschte Effekt nicht eingetreten ist, hat seit
langem die Praxis gezeigt. Bei sorgfältiger analytischer Behandlung hätte man das jedoch auch ohne Experimente
berechnen können. Hier zeigt sich, daß das Unterlassen notwendiger theoretischer Aufarbeitung eines solchen
Problems zu unnützen und kostenaufwendigen praktischen Maßnahmen führt, die vermeidbar gewesen wären.
Man bedenke nur den organisatorischen Aufwand bei der Umstellung von Fahr- und Flugplänen aller Art landesweit
und europaübergreifend, der zweimal jährlich entsteht. Allein die Deutsche Bahn stellt 120.000 Uhren um. Man
bedenke auch den Aufwand bei der Umstellung der Normaluhren der Zeitdienste in ganz Europa, der nicht
unerheblich ist, denn das sind komplexe elektronische Einrichtungen, an denen man nicht einfach die Zeiger
verdrehen kann. Unverständlich bleibt aber nun, daß trotz praktischen und nun auch theoretischen Nachweises
die Fehlentscheidung nicht korrigiert wird und weiterhin die kostenintensive Zeitumstellung in jedem Halbjahr
durchgeführt wird. Nun kann man spekulieren. Weil sie aus wissenschaftlicher Sicht keinen Gewinn bringt, könnte
man die Zeitumstellung einfach unterlassen. So zum Beispiel verfährt Rußland seit 2011. Daß es dennoch nicht
geschieht, ist sicher dem Versagen der Politik geschuldet, die nicht in der Lage ist, dazu eine europäische Einigung
herbeizuführen.
Die Liste der Beispiele, mit denen das Auseinanderlaufen von Theorie und Praxis zu gravierenden Entwicklungsschäden
auf den jeweiligen Gebieten führt, könnte sicher uneingeschränkt erweitert werden, würde man eine größere Gruppe
Wissenschaftler aus verschiedensten Gebieten und Zweigen des gesellschaftlichen Lebens in die Ausarbeitung
solcher Listen einbeziehen. Die hier behandelten Darstellungen sind nur aus meiner eigenen Sicht herausgefunden
und sollen deshalb auch keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben.