bearbeitet: 10.01.2003     

Über das Denken der Rechtschreibreformer

An dieser Stelle soll das Denken der Rechtschreibreformer einer kleinen aber aufschlußreichen Analyse unterzogen werden. Zu dieser Analyse soll nur das Kapitel Getrennt- und Zusammenschreibung herangezogen werden, damit der Beitrag eine lesbare Länge behält. Vielleicht nehme ich später noch andere Kapitel her, in denen das Drama das gleiche ist.

Am Beispiel der Getrennt- und Zusammenschreibung lassen sich einige Dinge sehr klar zeigen. Nehmen wir die beiden deutschen Ausdrücke „sogenannt“ und „so genannt“ unter die Lupe und zeigen den Unterschied. Angenommen, es liegt uns ein Plan vor, aus dem wir die Planungsobjekte für den laufenden Tag entnehmen und in einen gesonderten Teilplan eintragen, den wir Tagesplan nennen wollen. Das ist dann der so genannte Tagesplan, so haben wir ihn benannt. Kommt nun ein Dritter daher, und spricht von dem sogenannten Tagesplan, so will er ausdrücken, daß er sich mit diesem Plan nicht so ganz identifizieren kann, dieser sogenannte Tagesplan ist für ihn unsinnig oder lächerlich, er akzeptiert ihn innerlich nicht.

Man sieht also, daß die beiden Ausdrücke eine sehr unterschiedliche Bedeutung haben, was man beim Sprechen mit der Betonung zum Ausdruck bringt. Beim Lesen hat man diese unterschiedliche Betonung nicht zu Verfügung, folglich ist man auf die unterschiedliche Schreibweise angewiesen, wenn man den Sinn erkennen will.

Wäre den Rechtschreibreformern dieser Unterschied der beiden Ausdrücke aufgefallen, wären sie sicher niemals auf die Idee gekommen, die Bedeutung „sogenannt“ aus der deutschen Sprache streichen zu wollen. Das läßt aber nur einen einzigen Schluß zu: Die Reformer kennen diesen Unterschied nicht, für sie haben die beiden Ausdrücke die gleiche Bedeutung, deshalb kam es für sie auch nur darauf an, die Schreibung zu vereinheitlichen. Ihr Denken ist also nicht weit genug entwickelt, die Feinheiten der Ausdrucksweise im Deutschen zu erkennen, sie sind also für die Erarbeitung einer Reform ungeeignet, sie sind inkompetent. Es fehlt ihnen das Sprachgefühl und sie sind unzureichend gebildet und ausgebildet, die Schriftsprache einer Reform zu unterziehen.

Bei ihrem Tun stützen sie sich auf Weisungen der Kultusministerkonferenz, die sich anmaßt, eine Reform auf Anweisung betreiben zu lassen, und die Ergebnisse dieser Fehlleistung dann auch noch „amtlich“ zu nennen. Bedauerlicherweise gibt es eine große Zahl unter den Deutschen, denen es egal ist, wie sie schreiben oder schreiben sollen, die gehorsam, untertänig und obrigkeitshörig so schreiben, wie man es ihnen „befiehlt“. Wenn es eben amtlich ist, dann müssen wir das so machen. Und so machen sie es denn, auch wenn es kompletter Unfug ist. Das muß wohl so in der Seele des Deutschen liegen. Jeder sprachbewußte Mensch aber kann nicht anders, als sich dagegenzustellen. Mir ist aufgefallen, daß kein namhafter deutscher Schriftsteller das Reformerdeutsch anwendet. Kann er auch gar nicht. Er arbeitet mit den Feinheiten der deutschen Sprache, die die Reform ihm wegnehmen will.

Das Verheerende an diesen Aktionen ist, daß nicht nur orthographische Änderungen herbeigeführt werden sollen, sondern daß unmittelbar in die Sprache selbst eingegriffen wird, indem Ausdrucksweisen beseitigt werden sollen. Für das Streichen von Ausdrücken aus der Sprache gibt es jedoch überhaupt keine zuständigen Stellen, niemand hat dazu Rechte oder gar Pflichten, kein Amt, keine Behörde, kein Gericht, auch nicht das Bundesverfassungsgericht, keine Universität, keine Partei, kein Verein oder was auch immer – und auch nicht die Kultusministerkonferenz. Dies geschieht ausschließlich durch natürliche Sprachentwicklung im Volk, die beobachtet und dokumentiert werden kann, beispielsweise durch ein sprachwissenschaftliches Institut.

Nun werden einige Reformbefürworter entgegenhalten, man könne ja seine Formulierungen so gestalten, daß der Sinn aus dem Kontext erkennbar wird. Die Kontexterkennung ist sehr nützlich, wenn es um Zweifelsfälle geht, die trotz aller Feinheiten der Ausdrucksweise auftreten können. Für die Reformbestrebungen ist sie allerdings als Begründung nicht akzeptabel, sie ist Beschwichtigungsversuch und ganz billige Ausrede. Wir haben historisch gewachsen im Deutschen in den meisten Fällen Eindeutigkeit durch unterschiedliche Schreibweisen, warum wohl sollten wir darauf verzichten? Weil dafür notwendige Schreibweisen abgeschafft werden sollen? Es gibt dafür keinen vernünftigen Grund.

Nun wären meine Anfeindungen gegen die Reformer sicher nicht aufrechtzuerhalten, wäre das genannte Beispiel der einzige Fehlgriff der Reformer. Aber Stephanus Peil hat in seiner Broschüre „Die Wörterliste“ gezeigt, daß in der alphabetischen Wortfolge allein beim Buchstaben A einige hundert Ausdrücke aus der deutschen Sprache gestrichen werden sollen. Insgesamt sind es viele Tausende. Zur Unterstreichung meiner Aussagen will ich nur noch einige wenige ausdeuten. Rund 360 Beispiele finden Sie im Beitrag "Die kuriose Welt der Getrenntschreibung".

Titelzeile in einer Ausgabe der Münchener Abendzeitung vom April 2000 über einen Verkehrsunfall: „Frau tot gefahren und dann geflüchtet“. Gesagt werden sollte an dieser Stelle, daß eine Frau ums Leben gekommen ist und der Täter danach das weite gesucht hat, also „Frau totgefahren und dann geflüchtet“. Geschrieben steht aber, daß die Frau, die gefahren ist, schon tot war, möglicherweise durch einen plötzlichen Herzinfarkt oder was auch immer. Wie sie dann aber geflüchtet sein soll, ist ein Rätsel. Der Redakteur hatte sicher allzuviel „Logik“ walten lassen: „tot geboren“ soll ja nach dem Neuregelpfusch zwingend getrennt geschrieben werden, „tot stellen“ auch, warum dann nicht auch „tot gefahren“? Leider ist aber diese Reformerlogik unverträglich mit der Logik in der deutschen Sprache.

Der Literaturkritiker Joachim Kaiser hat in der Süddeutschen Zeitung vom 01.10.1999 geschrieben: „Der Nobelpreis für Günter Grass war wohlverdient.“ Der Redakteur machte daraus, „Der Nobelpreis für Günter Grass war wohl verdient“, was bedeutet, daß er so recht und schlecht berufen war, ihn zu erhalten. Ja, ja, „deutse Sprake – swere Sprake!“

Was soll man von folgender Formulierung halten? „Der CDU-Vorsitzende hat die Regierungserklärung des Bundeskanzlers schlecht gemacht.“ Unklar ist hier, warum der CDU-Vorsitzende die Regierungserklärung des Bundeskanzlers gemacht hat. Hätte Schröder die nicht selber machen müssen? Hätte er sie selbst gemacht, wäre sie bestimmt besser geworden.

Allein bei der Analyse der reformierten Getrennt- und Zusammenschreibung läßt sich in Hunderten Fällen zeigen, daß die neuen Vorsehungen keinerlei Regel beinhalten und keinen vernünftigen Sinn mehr haben. Wenn „aufeinander treffen“ statt „aufeinandertreffen“, warum dann aber „zusammentreffen“? Wenn „allzu bald“ statt „allzubald“, warum dann aber „allzumal“? Wenn „bewusst machen“ statt „bewußtmachen“, warum dann aber „klarmachen“? Wenn „schlecht machen“ statt „schlechtmachen“, warum dann aber „gutmachen“ und „schönmachen“? Wenn „dahinter setzen“ statt „dahintersetzen“ und „davor setzen“ statt „davorsetzen“, warum dann aber „dazusetzen“ und „danebensetzen“? All das ist schon völlig unverständlich. Der Gipfel ist aber wohl das folgende: Für „abscheuerregend“ soll es neu heißen „Abscheu erregend“, aber für „äußerst abscheuerregend“ soll es neu heißen „äußerst abscheuerregend“. Ich versichere den Leser, ich habe mich hier nicht verschrieben. Was mag in den Köpfen solcher Leute vor sich gehen, die uns das als „Reform“ andrehen wollen? Mit Denken kommen wir hier überhaupt nicht weiter!

DMP