bearbeitet: 21.01.2004
Die grandiose Revolution des Aussprechens der Zahlen
Gegen die Anglisierung der Aussprache von Zahlen (etwa Zwanzigeins statt Einundzwanzig), wie sie der Bochumer Mathematikprofessor Lothar Gerritzen anläßlich seines am 19. Januar durchgeführten Kolloqiums zum "Zahlenaussprechsystem" fordert, wendet sich die Sprachzeitschrift DEUTSCHE SPRACHWELT. Ich auch. Deshalb habe ich Herrn Professor Gerritzen den folgenden Brief übersandt:
Sehr geehrter Herr Professor,
mit Verwunderung habe ich von Ihren Forderungen anläßlich des am 19. Januar durchgeführten Kolloquiums
zum "Zahlenaussprechsystem" gehört. Glauben Sie allen Ernstes, berufen zu sein, die deutsche Sprache zu
reformieren? Eine Sprache ist Volksgut und wichtiges Kulturgut. In keinem Falle ist sie ein Experimentierfeld
für willkürliche Verunstaltungen nach dem Willen einzelner. Die Menschen deutscher Sprache haben schon
genug Ärger mit der Staatslobby, die versucht, dem Volk zu diktieren, wie es denn zu schreiben habe. Die
staatliche Einmischung in die deutsche Rechtschreibung ist ein Skandal, der von der überwältigenden Mehrheit
des Volkes abgelehnt wird.
Und nun beginnen Sie, Kräfte zu sammeln, die versuchen sollen, die Sprache selbst zu ändern, weil Ihnen zum
Beispiel die Sprechweise unserer Zahlen nicht genügend logisch erscheint? Ich halte das für einen wenig
gelungenen Scherz. Ich habe als offenen Brief eine Glosse verfaßt, die Sie nachdenklich stimmen sollte. (Sie
folgt diesem Text.)
Es hat ja in der Sprachgeschichte schon etliche Versuche gegeben, mit denen einzelne die Sprache nach ganz
persönlichen Wünschen zu verändern gedachten. Die meisten davon sind gescheitert. Ich denke hier z. B. an
den „Haareschneider“, der den Friseur ersetzen sollte oder den „Schraubendreher“, mit dem der Schraubenzieher
aus der Sprache gestrichen werden sollte.
Ich empfehle Ihnen, von solchen Bestrebungen Abstand zu nehmen und Ihre Kräfte besser dazu zu verwenden,
unsere Muttersprache zu erhalten und zu pflegen, anglistischen Verrottungserscheinungen entgegenzuwirken,
die über Jahrhunderte durch natürliche Entwicklung entstandene Orthographie vor einer Horde dilettantischer
Sprachverbesserer zu bewahren und in der Sprachausbildung an unseren Bildungseinrichtungen die
Heranwachsenden zu einem höheren Sprachbewußtsein zu erziehen. Dies wäre ein besserer Beitrag zum
Kulturgut deutsche Sprache.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Manfred Pohl
Ein offener Brief an Herrn Prof. Dr. Lothar Gerritzen, Bochum
Nun haben wir doch endlich eine Idee gefunden, wie wir dieser völlig unlogischen Sprechweise der Zahlen des
dezimalen Zahlensystems zu Leibe rücken können. Aber leider, lieber Herr Professor, bin ich mit solchen Halbheiten,
wie „zwanzigeins, zwanzigzwei“ usw. höchst unzufrieden.
Wenn wir schon die Sprache revolutionieren wollen, dann reicht das bei weitem nicht. Konsequenz ist vonnöten, von
der ich in ihren Plänen so gar nichts vorfinden kann. Man muß doch sehen, daß es noch viele andere Ungereimtheiten
in der Sprechweise unserer Zahlen gibt. Ich stelle Ihnen nachfolgend vor, was wir tun müssen, um endlich Ordnung
in dieses leidige Problem zu bringen.
Zum Aussprechen unserer Zahlen beschränken wir uns zukünftig für die Ziffern 1 bis 9 auf die Wörter eins, zwei,
drei, vier, fünf, sechs, sieben, acht und neun. Nun ist das noch nicht ganz richtig, denn es fällt Ihnen
sicher auf, daß als einziges Wort „sieben“ zweisilbig ist. Deshalb werden wir dafür einfach sieb sagen. Die
Verwechslung mit einem Teewerkzeug ist nicht gegeben, weil ja zu unserem Ärger nach der halbfertig eingeführten
Rechtschreibreform die Substantive immer noch groß geschrieben werden. Hier aber gereicht das zum Vorteil. Nun
legen wir außerdem fest,
Inkonsequent ist ferner, daß es manchmal „eins“ und manchmal „ein“ heißt. Das regeln wir auch gleich mit, indem
es immer „eins“ heißt, gleichgültig wo. Es heißt fortan also „einsmal, zweimal, dreimal“ usw., wozu denn diese
logikfernen Abweichungen.
Durch diese Bestimmungen regeln sich von ganz allein solche unzulänglichen Wörter, wie „zehn“, „elf“, „zwölf“ usw.
oder auch „zwanzig“ und ähnlicher Sprechunfug, der aus der deutschen Sprache gestrichen wird, indem der 9 folgend
die Zahlen völlig logisch heißen: „einszig, einszigeins, einszigzwei, einszigdrei“ usw. und die Zehner fortsetzend
zweizig, dreizig, vierzig und schließlich dann „siebzig, achtzig, neunzig, einshundert, einshunderteinszig“ usw.
Hier sehen wir auch, daß sich die Festlegung „sieb“ für das bisherige „sieben“ wie von selbst rechtfertigt. Natürlich,
und das gebietet die Konsequenz, muß es dann auch „siebhundert“, „siebtausend“, „siebmillion“ usf. heißen. Dieses
Sprechsystem für die Zahlen brauchen die Kinder nicht mehr zu lernen, es beschränkt sich auf das Erlernen der
Wörter für die Ziffern 1 bis 9, alles andere ergibt sich ganz von selbst.
Einziger Problemfall bleibt die 0, für die es bisher das Wort „Null“ gab. Warum das groß geschrieben wurde, soll als
ungelöstes Rätsel in den Annalen verschwinden, denn wir lösen dies auf ganz elementare und brillant logische
Weise: Die Ziffer 0 lassen wir wie bisher, das Wort „Null“ wird gestrichen, wenn wir die Zahl ohne Wert meinen,
nicken wir mit dem Kopf und sagen nichts. Sollte das Wort in einem Text notwendig werden, schreiben wir „-“.
Damit haben die deutschsprechenden Menschen endlich das fortschrittlichste und logisch vollkommendste
Zahlensprechsystem der Welt.
Ach, wenn es doch nicht so ungeheuer schwierig wäre, die Menschen von dieser grandiosen Verbesserung der
deutschen Sprache zu überzeugen! Das dürfte wohl der schwierigste Teil Ihres Unterfangens werden,
Herr Professor Gerritzen.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Manfred
Pohl
Nachbemerkungen:
Leser, die es wünschen, können auch Herrn Professor Gerritzen direkt anschreiben. Seine Adresse lautet:
Lothar.Gerritzen@ruhr-uni-bochum.de
Bitte lesen Sie hierzu auch meinen Betrag
"Die Sprache, die Zahlen und die Logik",
eine Analyse gesprochener Zahlen in verschiedenen Sprachen.