bearbeitet: 20.10.2012
In Mußestunden bin ich oftmals mit Kreuzworträtseln befaßt. Diese Beschäftigung beansprucht breitenwirksames
Allgemeinwissen, ist deshalb ein nützliches Pendant zu meinen recht speziellen Tätigkeiten in den Naturwissenschaften.
Da ich nun aber auch nicht unwesentlich in das Gebiet der Sprachwissenschaften involviert bin, hat das Kreuzworträtsel
noch eine andere interessante Seite, sie betrifft die Autoren. Mitunter ist es nämlich nicht ganz einfach, für einen
gesuchten Begriff oder ein Wort eine treffende Umschreibung herauszufinden, die möglichst kurz ist, aber
dennoch das Gesuchte so charakterisiert, daß man es auch erraten kann. Insbesondere bei Schwedenrätseln
ist ja der Platz für die Definitionen sehr begrenzt. So findet man bei den verschiedenen Autoren auch ganz
unterschiedliche Begabungen in der Treffsicherheit der Definitionen. Man erkennt aber auch, daß die Autoren
wohl sehr umfangreich voneinander abschreiben, mit den Autorenrechten wird es dabei nicht so genau
genommen. Vielfach gehen dabei aber auch eigene Überlegungen verloren, und so finden denn auch recht
zweifelhafte oder unzutreffende Definitionen rasche Verbreitung.
Eine die Kritik herausfordernde Umschreibungsart ist dabei eine Tendenz, viele deutsche Wörter als "veraltet"
zu deklarieren. Damit will man wohl ausdrücken, daß solche Wörter in der heutigen Sprache seltener verwendet
werden, vielleicht sogar will man suggerieren, daß man sie nicht mehr verwenden sollte. Der geneigte Leser
kann sich anhand der nachfolgenden Auflistung einer kleineren Zahl der in den Definitionen als veraltet
angesehenen Wörter einen Eindruck verschaffen, wie weit man dabei geht, und ob das in diesem Ausmaß
überhaupt zu rechtfertigen ist.
Suchwort | "veraltet" für | Suchwort | "veraltet" für | |
absent | abwesend | Magd | Landarbeiterin | |
Advokat | Rechtsanwalt | Maid | Mädchen | |
Air | Haltung | Mamsell | Serviererin, Zubereiterin | |
Aktrice | Schauspielerin | Ni-Fe | innerer Erdkern | |
allzeit | immer | nimmer | nie | |
Büttel | Scherge, Diener | Nisse | Läuseei | |
des | dessen | Osmanen | Türken | |
Diwan | Liege, Sofa | Reich | Herrschaftsgebiet | |
drob | darüber, wegen | Remise | Wagenschuppen, Garage | |
eigen | sonderbar | Rumor | Lärm, Aufruhr | |
Gazette | Zeitung (abwertend) | Schenk | Wirt, Bediener | |
Ingrimm | Zorn | Schrein | Sarg | |
Kebse | Nebenfrau | Sod | Sieden | |
Knecht | Landarbeiter | stet | immerzu, ständig | |
Lenz | Frühling | Tambour | Leiter eines Spielmannszuges | |
Linnen | Leinen, Tuch | Tort | Beleidigung | |
wes | wessen |
Viele Wörter sind darunter, die als veraltet angesehen werden, für die es aber kein anderes Wort gibt, das
sich dafür in der "modernen" deutschen Sprache durchgesetzt hätte. Wird damit nicht heraufbeschworen,
einen ganzen Sachgegenstand aus der deutschen Rede auszugliedern? Wie soll man sich den über die
Probleme verständigen, die es zwar heute vielleicht weniger gibt, die aber dennoch einer sprachlichen
Zuwendung bedürfen. Wenn man zum Beispiel "Knecht" und "Magd" mit der Umschreibung "veraltet:
Landwirtschaftlicher Mitarbeiter" aus dem deutschen Sprachschatz entfernen will, hat man keine Möglichkeit
mehr, sich über diese Kategorien ausdrücken zu können. Damit will ich sagen, nicht die Wörter sind veraltet,
sondern der gesellschaftliche Status der Begriffe. Die Wörter werden nach wie vor gebraucht und sind ganz
und gar nicht veraltet. Es sind auch Wörter darunter, die auf Grund von Modeerscheinungen einen vielleicht
veralteten Eindruck machen, weil möglicherweise die heutigen Generationen einen anderen Redestil pflegen.
Vielfach erweist sich das jedoch als Abbau sprachlicher Ästhetik durch den Verlust sehr schöner sprachlicher
Elemente. Jeder kennt die nachfolgenden Wendungen.
"Wes Brot ich eß', des Lied ich sing'."
"Der Lenz ist da, die Knospen sprießen."
"Allzeit immer eine handbreit Wasser unter dem Kiel."
"Steter Tropfen höhlt den Stein."
Sind solche poetischen Ausdrücke etwa veraltet, daß wir sie nicht mehr verwenden sollten? Ganz sicher ist
zum Beispiel heute der Rechenschieber veraltet. Das Instrument, versteht sich, nicht aber das Wort. Genauso
verhält es sich zum Beispiel mit Wringmaschine, Großsuper, Audionempfänger, Nachtgeschirr, Holzvergaser,
Wäscherolle oder Überzieher. Es kann sogar sein, daß jüngere Menschen einige dieser Dinge gar nicht kennen.
Die Gegenstände sind wirklich veraltet, nicht aber die Wörter. Man muß sich doch schließlich darüber unterhalten
können.
Mir fällt in diesem Zusammenhang das Beispiel ein, daß in der sogenannten "modernen" deutschen Sprache
die Verwendung des Konjunktivs mehr und mehr verfällt, auch an Stellen, an denen seine Unterlassung ein
grammatischer Fehler ist. Ist der Konjunktiv etwa veraltet? Ein Rundfunkmoderator formulierte zum Beispiel:
"Wir freuen uns, daß Sie morgen wieder dabei sind." Das ist falsch. Hier ist nämlich der Konjunktiv zwingend
gefordert: "Wir würden uns freuen, wenn Sie morgen wieder dabei wären." Oder auch "Wir freuten uns, wären
Sie morgen wieder dabei." Insbesondere das Ausdrücken des Konjunktivs mit den speziellen Flexionsformen der
Verben geht heute zunehmend verloren. Das ist sehr schade, weil diese Formen einen großen sprachlichen
Reichtum im Deutschen darstellen. Durch das zunehmende Vermeiden solcher Formen geht damit heranwachsenden
Generationen auch das Sprachgefühl für diese Elemente des Deutschen verloren. Das ist ein Vorgang, der die
Entwicklung der Sprache negativ beeinflußt, der deshalb in den Schulen sowie auch im Elternhaus deutlicher
bekämpft werden sollte.
Ein anderer, sich vornehmlich in der Werbung einschleichender Fehler ist die nicht der deutschen Grammatik
entsprechende Frageformulierung. "Sie wollen ein neues Fahrrad kaufen?" Das ist kein Fragesatz, sondern
eine Aussage. Die Frage lautet. "Wollen Sie ein neues Fahrrad kaufen?" Der Fragesatz ist im Deutschen an
diese Wortfolge gebunden. Da die falsche Formulierungsweise nun aber tagtäglich in geballter Form wiederholt
wird, macht sie sich allmählich in der Sprache breit. Am Ende wird der Fehler gar nicht mehr erkannt. Man sieht
an diesem Beispiel deutlich die Verantwortung, die Werbetexter für die Sprache hätten, jedoch ganz bewußt
ignorieren. Viele kommentieren das auf Befragen sogar mit der Aussage: "Wir wollen nicht die Sprache pflegen,
sondern unser Produkt verkaufen." Das ist doch sicher schon ausgeprägter Zynismus. Für das Erreichen ihres
Werbeziels verderben sie in voller Absicht die Muttersprache.
So gibt es eine Vielzahl an Tendenzen, die einen Sprachverfall signalisieren, der sich fortsetzen wird, wenn
in der Bildung nichts unternommen wird, ihm Einhalt zu gebieten. Leider kommen an unseren Schulen und
Bildungseinrichtungen schon viele Lehrer ihrer Pflicht zur spracherzieherischen Einwirkung auf die Schüler
nicht mehr nach. Sie schieben diese Verantwortung auf die Deutschlehrer und halten sich für nicht zuständig.
Das ist ein schlimmer Irrtum. An einer Schule in meinem Wohnort bin ich einmal unbeabsichtigt Zeuge geworden,
wie ein Biologielehrer eine Klassenarbeit korrigierte und dabei die zum Teil verheerende Orthographie bei einem
Schüler völlig ohne Bemerkungen beließ. Auf meine Frage, ob er denn dies nicht bewerte, sagte er wörtlich: "Ich
werde mich doch nicht in das Ressort des Deutschlehrers einmischen". Zu meiner Schulzeit - das liegt 60 Jahre
zurück - konnte man ohne ausreichende Orthographie in einer Facharbeit keine sehr gute Gesamtnote erhalten.
Ich halte das für einleuchtend: Welchen Wert haben gute Fachkenntnisse, wenn ich sie nicht auch sprachlich in
guter Qualität darlegen kann? Nach meiner bisher unwiderlegten Auffassung ist Spracherziehung die Pflicht
aller in der Bildung Tätigen, unabhängig vom Fachgebiet. Bei der Unterlassung stehen wir vor dem Verlust des
Sprachbewußtseins, dem Fehlen des Stolzes auf die eigene Muttersprache und weiterführend dem Verlust des
Bewußtseins der nationalen Identität. Es gibt sogar Stimmen, die bei meinen Darlegungen leichtfertig vom
"Festhalten an alten Zöpfen" reden, die also nicht verstehen, daß unsere Sprache ein hohes Kulturgut ist, das
neben aller Beweglichkeit und entwicklungsbedingter Veränderung auch Traditionen beinhaltet, die der Pflege
bedürfen. Würden alle so mit unserer Sprache umgehen, wäre sie tatsächlich zum Untergang verurteilt.