bearbeitet: 19.09.2006     

Die Rechtschreibreform

Ein Resümee nach der Einführung

Seit dem 1. August 2006 ist nun die Rechtschreibreform „endgültig“ eingeführt worden, wie die Reformbetreiber sagen. Die Anführungsstriche habe ich aber gesetzt, weil von endgültig keine Rede sein kann. Nach wie vor wird ständig durch den Rat für deutsche Rechtschreibung, dem Nachfolger der wegen Mißleistung abberufenen Reformkommission, sowohl am Regelwerk als auch an einzelnen Wortschreibungen herumgebastelt, um die vielen Fehler, die die Reform hervorgebracht hat, schrittweise in dem Maße zu korrigieren, wie das von den Reformern unter dem Druck öffentlicher Kritiken am Ende doch noch akzeptiert werden muß.

Das alles hilft jedoch nicht darüber hinweg, daß die sogenannte Rechtschreibreform im Grundsatz abgelehnt werden muß, auch ohne dabei zunächst auf die sprachfachlichen Probleme einzugehen. Die Hauptgründe dafür sind die folgenden.

  1. Es ist wohl einmalig in der Geschichte einer Sprache, daß von einer kleinen selbsternannten Gruppe von „Verbesserern“ das orthographische Regelwerk in seiner Gesamtheit abgeschafft und durch ein anderes ersetzt worden ist. Diese Respektlosigkeit vor der Geschichte und der Tradition unserer Sprache ist nicht hinnehmbar. So wird die Reform auch gegenwärtig noch von über 60% des Volkes abgelehnt. Zudem ist festzustellen, daß dieses Regelwerk dem ursprünglichen in den meisten Teilen unterlegen ist. In vielen Bereichen ist es unbrauchbar. Die daraus entstehenden Folgen sind noch immer nicht in voller Tragweite abzusehen.

  2. Es ist auch einmalig in der Geschichte einer Demokratie, daß eine solche Reform gegen den Willen einer übergroßen Mehrheit des betroffenen Volkes durchgesetzt wurde. Dies ist ein Vorgang, der eine der wichtigsten Säulen der Staatsordnung ad absurdum geführt hat. Demokratie hat es in der Sache nicht gegeben, im Gegenteil, demokratische Entscheidungen, wie der Volksentscheid in Schleswig-Holstein 1998, wurden durch verfassungswidrige parlamentarische Aktionen ausgehebelt. Die Reform ist ein staatliches Diktat. In staatlichen und öffentlichen Einrichtungen wird die Weigerung der Anwendung des reformierten Deutschs immer häufiger mit Sanktionen und Repressalien belegt.

Die Reform wurde ohne Sinn, ohne Verstand, ohne Sachkenntnis und ohne Sprachgefühl ausgearbeitet und in diktatorischer Weise dem Volk aufgezwungen. Die deutsche Sprache wurde im Inland und im Ausland beschädigt. Viele dieser Beschädigungen sind nur durch die konsequente und vollständige Beseitigung der Reform korrigierbar.

In fragwürdigen „geheimen“ Beratungen hatte derzeit die Rechtschreibkommission „Beschlüsse“ vorbereitet, die von der Kultusministerkonferenz „in Kraft gesetzt“ wurden. Allein die Formulierungen zeigen die unzulässige Verfahrensweise mit der Sprache. Ein politisches Gremium wie die KMK hat keine Zuständigkeit für die Veränderung der deutschen Sprache.

Alle Veröffentlichungen und Hinweise von Sprachwissenschaftlern, Schriftstellern und anderen Kulturschaffenden, die vor der Zerstörung der deutschen Sprache durch nichtlegitimierte Reformgremien warnen, wurden in ihrer Gesamtheit vollständig ignoriert.

Die Reform wurde nicht im Interesse der deutschen Sprache und der deutschsprechenden Völker, nicht im Interesse der leichteren Erlernbarkeit durch die junge Generation, nicht im Interesse der Vereinfachung der Schreibweisen und nicht im Interesse der Verbesserung des Regelwerkes betrieben. Sie wurde ausschließlich zur Befriedigung der Profitinteressen einiger Medienkonzerne herbeigeführt, für die die Mißqualität der Reform primäres Interesse ist, weil dadurch fortlaufende Korrekturen notwendig werden, die zu immer neuen Einnahmen führen.

Die Schulen in unserem Lande haben aufgehört, spracherzieherisch wirksam zu werden, weil die Lehrerschaft den permanenten Wust an Veränderungen, immer neuen Fehlfestlegungen und neu erschienenen unterschiedlichen Dudenausgaben, von denen keine je widerrufen wurde, nicht mehr überschauen kann. Einher mit diesem orthographischen Desinteresse geht auch die schwindende Erziehung zum Sprachbewußtsein, zum Stolz auf die Muttersprache und zum Bemühen um gute sprachliche Leistungen. Dadurch wird auch das zunehmende Überfluten des Deutschen mit fremdsprachlichen Einflüssen, vornehmlich amerikanischen, nicht mehr zurückgedrängt.

Die Zahl der Deutschlernenden im Ausland ist gesunken, weil eine in der Zerstörung befindliche Sprache an allgemeinem Interesse verliert.

Die Spaltung der Deutschen in zwei Lager – eine Minderheit, die das reformierte Deutsch verwendet oder zur Verwendung gezwungen wird, und eine Mehrheit, die es ablehnt – ist weiter vorangetrieben worden. Eine einheitliche deutsche Rechtschreibung existiert nicht mehr. Die Zahl derer, die offen bekunden, sich nach keiner Rechtschreibung zu richten, ist gestiegen. Es sinkt die Zahl an Befürwortern der Auffassung, daß ordentliche und saubere Rechtschreibung ein Maß für Bildung ist.

Was finden wir nun sprachlich nach der Einführung der Reform vor?

  1. Die umstrittenen Regelungen der Getrennt- und Zusammenschreibung, die am deutlichsten das fehlende Sprachgefühl der Reformer dokumentieren, sind noch immer nicht konsequent zu Ende gedacht. Noch immer sollen Hunderte deutscher Begriffe und Ausdrücke begründungslos aus der Sprache gestrichen werden, weil unsachgemäße Reglementierungen vorgenommen werden.

  2. Die Kommaregeln der Reform, in denen die fehlende Sachkenntnis der Reformer deutlich wird, Regeln, die niemand anwendet, weil sie das Lesen erschweren, wurden nicht zurückgenommen. Wenige kosmetische Korrekturen haben das Kernproblem nicht behoben.

  3. Die widersinnige ss-Regelung nach kurzen Vokalen wurde ohne Einschränkungen sanktioniert, obwohl aus vielen statistischen Erhebungen bekannt ist, daß gerade durch sie die Fehlerzahl bei den Schreibenden deutlich angestiegen ist.

  4. Die willkürlichen und sporadischen Veränderungen einzelner Wortschreibungen, denen jeglicher Sinn fehlt, in denen lediglich Stückwerk ohne erkennbaren Grund geboten wird, sind nicht annulliert worden. Zudem befinden sich darunter Änderungen, die in die Phonetik eingreifen und deshalb gar nicht realisierbar sind.

  5. Die Schreibung dreier aufeinanderfolgender Konsonanten, unter denen die Ästhetik des Schriftbildes leidet und Schaden nimmt, wurde sanktioniert.

  6. Das Vermeiden des verstandvermissenden Abtrennens von Einzelvokalen bei der Trennung am Zeilenende ist zu einer Empfehlung verkommen.

  7. In die Wörterverzeichnisse des reformierten Deutschs haben fremdsprachliche Vokabeln Eingang gefunden, die darin nicht vorkommen dürften.

Viele dieser genannten Einführungen sind völlig unhaltbar und lassen in der näheren und ferneren Zukunft weitere zwingende Änderungen des reformierten Deutschs erwarten. Relative Ruhe in der Entwicklung der Orthographie ist so auf lange Sicht nicht erreichbar. Die Beschädigung der deutschen Sprache wird auf diese Weise vergrößert, nicht verringert. Deutsche Hochschulen und Universitäten werden zunehmend in ihrer Vorgehensweise bestärkt, wissenschaftliche Vorlesungen und Seminare in englischer Sprache durchzuführen, was eine offene Bankrotterklärung des Wissenschaftsstandortes Deutschland ist.

In letzter Überlegung kann nur eine Schlußfolgerung abgeleitet werden. Die Rechtschreibreform ist ein untaugliches Instrument zur Regulierung oder zur Manipulation der deutschen Sprache. In der Konsequenz wird sie zur Zerstörung der deutschen Sprache und damit zum Zerfall der deutschen Kultur und als Folge des deutschen Volkes beitragen.