bearbeitet: 10.05.2017    

Die Musik in der heutigen Zeit
Ich erlaube mir einige kritische Bemerkungen - Dr. Manfred Pohl

In einer großen Zahl von Musikstücken, die in der heutigen Zeit produziert werden, finde ich zunehmend eine Verarmung, eine Ideenlosigkeit vor. Einem Komponisten oder einem, der sich gern so nennen möchte, fällt eine Tonsequenz aus zwei bis maximal vier Tönen ein. Bei guter Verarbeitung kann eine solche Tonfolge durchaus zu einer ansprechenden Musik werden. Von manchen Musikern wird nun aber diese Sequenz nicht mit dem Reichtum an gegebenen Variationsmöglichkeiten künstlerisch verarbeitet, nein, sie wird ohne jede Modulation 128 mal wiederholt, so daß sie dem Zuhörer unlöschbar ins Gehirn gehämmert wird, bis ihn die kreative Wut packt und er das Zuhören beendet. 128 mal? Ja. Acht Takte mit je vier Wiederholungen, das Ganze viermal. Oftmals gibt es aber auch solche Regelmäßigkeiten nicht mehr. Beim vierten Mal wird nun auch der unmusikalischste Zuhörer begriffen haben, was gespielt wird. Solche Darbietungen werden in aller Regel als langweilig und einfallslos empfunden. Man sehnt das Ende herbei oder stellt ab. Sie sind nur schwer in die Kategorie Musik einzuordnen.

Oft werden Musikinstrumente bis zur Unkenntlichkeit kujoniert. In vielen Musikstücken, in denen eine Gitarre eingesetzt wird, hört sie sich an wie ein Trennschleifer beim Kürzen eines Eisenträgers. Die natürlicherweise durch die physikalischen Eigenschaften gegebene harmonische Schwingung einer Saite, die den Wohlklang dieses Instrumentes ausmacht, wird mit Hilfe der Verstärkertechnik zu Rechteckimpulsen übersteuert, die als Ergebnis einen ätzenden Lärm ergeben. Nun ist es ja durchaus akzeptabel, solche Elemente mit mäßiger Wiederholung als Effekt einzusetzen. Wenn diese Geräusche aber nun zum tragenden Motiv des Musikstückes erhoben werden, geht die Wirkung des Effektes verloren, er ist dann kein Effekt mehr, wird als Vordergrund, als Grundklangbild mißbraucht, das Ganze ist dann fern von Instrumentalmusik einfach nur noch lästig. Effektmißbrauch ist eine sehr häufig vorgefundene Mißgestaltung in der heutigen Musik. Er belastet unmäßig das Zuhören, und man fühlt sich genervt. Ein Zuhörer erklärte mir einmal, er sei im Schwermaschinenbau beschäftigt, und er hätte sehr gern nach Feierabend zu Hause eine andere Geräuschkulisse gehört. Auf jeden Fall wird solche "Musik" einem Ausspruch von Wilhelm Busch gerecht, der sagte: "Musik wird störend oft empfunden, dieweil sie mit Geräusch verbunden".

Einige sogenannte Musiker scheinen ein ganz besonderes Verhältnis zum Schlagzeug zu haben. Die Betonung der Synkopen in geradzahligen Takten ergibt allgemein einen angenehmen und belebenden Rhythmus, der beispielweise dem Swing eine besondere Note gibt. Auch im Soul hat die Synkope, die oft von den Teilnehmern und den Zuhörern mit den Händen geklatscht wird, eine hohe emotionale Ausdruckskraft. Wenn aber auf die Synkopen in einer Weise eingedroschen wird, daß man das Gefühl hat, bei jedem Schlag eine Zaunslatte auf den Schädel zu bekommen, ist wohl des Guten zu viel getan. Dann geht es um Übertreibungen, die die Musik nur schwer verträgt.

Vieles ist möglicherweise damit erklärbar, daß Musik heute zum Teil nicht mehr von Musikern mit Herz und Hirn, sondern von Computern geschrieben wird. Oft wird dabei das Hilfsmittel zum Hauptakteur. Und da auch die komfortabelsten Geräte der Computertechnik weder denken, noch Gefühle äußern können, ist das Ergebnis dann ein algorithmisch-zyklischer Prozeß - nach Maschinenart eben - ohne Gefühlsinhalt, ohne künstlerischen Anspruch, ohne modulierte Verarbeitung.

Ein besonderes Kapitel ist die Kunstform Rap (deutsch: pochen, klopfen). Ihre Vertreter nennen sie hartnäckig Musik. Ist sie aber nicht. Auch für Musik gibt es einige theoretische Grundelemente. So hat Musik immer drei Komponenten: Eine Melodie, einen Rhythmus und eine Kadenz. Fehlt eine davon, ist es keine Musik. Beim Rap fehlen zwei: Die Melodie und die Kadenz. Ergo: Rap ist das Deklamieren von Text mit Schlagzeugunterstützung. Es ist eine Kunstform, in der Sachinhalte durch rhythmisches Sprechen ausgedrückt werden, aber Musik ist es nicht. Dazu gehört sehr viel mehr.