bearbeitet: 15.06.2002
Spricht so die junge Generation?
Jugendsprachblüten und andere Exzesse im Deutschen von heute
Kürzlich habe ich mich mit einem jungen Mann unterhalten, der zu seiner Muttersprache ein so
tiefgründiges Verhältnis hatte, daß er über ein Vokabular verfügte, das selbst mir als einem
Menschen im gereiften Alter zum großen Teil unbekannt war.
Anfangs sprachen wir über neue Automodelle einer bekannten Firma, mit denen man spielend 250 km/h
fahren konnte, ohne den Benzinverbrauch nennenswert über 8 l/100 km zu bringen. Er kommentierte diese
Information mit:
"Booaah ey, Wahnsinn ey."
Da ich ihn nicht vollständig verstanden hatte, fragte ich noch mal nach, ob sich denn diese seine
Grundsatzaussage auf die Geschwindigkeit oder auf den Benzinverbrauch beziehe. Das konkretisierte
er mit der einleuchtenden Erklärung:
"Mann Ede, Wahnsinnsspeed ey, Alter!"
Die schöne junge Frau, die indes an uns vorüberschritt, war mir wohl aufgefallen, aber auch die Blicke
meines Gesprächspartners in ihren Schritt und etwas später auf ihr Hinterteil. Ich entlockte ihm seine
Meinung mit der Bemerkung, daß sie wohl gut aussähe, und er konterte:
"Whauuh oaarhh geil, ey Mann!"
Im Weitergehen erreichten wir einen Imbißstand. Schon von weitem bellte mein Gegenüber dem Verkäufer zu:
"Mach ma Pommes groß."
So recht verstand ich nicht, warum der Mann im Kiosk die Kartoffeln vergrößern sollte, jener aber muß
es wohl verstanden haben, er übergab ihm eine große Tüte Pommes frites. Ja, das könnte es wohl geheißen
haben.
Analysiert man die Beiträge meines Gesprächspartners bis hierher, so stellt man eine sehr vereinfachte
Grammatik fest, auch sieht man, daß das eingesetzte zum Teil deutsche Vokabular einen jugendlich
eigenwilligen Bedeutungswandel erfahren hat. Es sind aber auch zahlreiche Vokabeln enthalten, die nicht
aus dem Deutschen kommen, die ich aber andererseits auch keiner anderen Sprache zuzuordnen vermochte.
Offenbar handelt es sich hierbei um phonetische Einheiten aus dem Tierreich, die heute vornehmlich von
Tierfreunden ins Deutsche übernommen werden. Aber auch das Fernsehen als Medium für die Bildung unserer
Kinder leistet dazu einen unübersehbaren Beitrag mit den unzähligen Zeichentrickfilmserien in den
Kinderkanälen, deren Tonspuren je nach Intelligenzgrad der Hersteller zu 50 bis 80 Prozent mit
unartikuliertem Gebrüll angefüllt sind. Vielleicht sollte ich im modernen Deutsch "50 bis 80
Prozentpunkte" sagen.
Im weiteren Gespräch konnte ich dann feststellen, daß die moderne deutsche Sprache durch die junge
Generation zunehmend rationalisiert wird. Kurzformen von Wörtern, die das Sprechen erleichtern und
die Gedanken schneller zu formulieren erlauben, treten in gehäufter Anzahl auf. So heißt es zum Beispiel
heute nicht mehr "Prominente", sondern "Promis", nicht mehr "Lastkraftwagen",
sondern "Brummis", nicht mehr "Asoziale", sondern "Assis". Daß dabei
einhergehend mit der Kürzungsabsicht auch einzelne Buchstaben in das Schriftbild eingefügt werden – hier
zuletzt ein "s", vermutlich aus phonetischen Gründen – sieht man auch bei den neudeutschen
Ausdrücken "Ossis" und "Wessis". "Demonstrationen" werden zu "Demos",
"Informationen" zu "Infos". Eine Zigarette ist eine "Lulle", ein 100-DM-Schein
war ein "Hunni", ein 50-DM-Schein ein "Fuffi". Wie rationell! Nach dem Übergang zum Euro
als Zahlungsmittel konnte man die Begriffe gleich beibehalten.
Zuweilen kann man aber auch der Kürzung gegenläufige Tendenzen erkennen, bei denen neuere Spezialbezeichnungen,
die ältere Formen gleicher Bedeutung ersetzen sollen, länger sind. So heißen Rentner heute im allgemeinen
"Kukidentis", ein Fahrrad ist ein "Drahtverhau", ein Auto ist eine
"Benzinkutsche".
Das Ersetzen von alten Wörtern durch neue wird immer mehr zum Allgemeingut unter einer Vielzahl von
sprachbewußten jungen Menschen. Hier meine ich weniger den Trend, englische Synonymbegriffe anstelle der
deutschen Wörter zu verwenden. Diese Richtung ist fast ausnahmslos den Angebern vorbehalten. Nein. Die
alten deutschen Vokabeln sind im Absterben begriffen, sie gefallen einfach nicht mehr, und so nennt man
die Dinge anders, um die Sprache wieder lebendiger werden zu lassen. Kein Mensch sagt heute mehr
"Geld", es heißt "Knete" oder "Kohle". Manchmal hört man noch "Penunse",
aber das ist von früher, als es so etwas auch schon gab, jedoch etwas maßvoller. "Auto" heißt
es schon lange nicht mehr. Es heißt "Karre". Bei "Motorrädern" spricht man von
"Feuerstühlen", kurz "Stühlen". Ein Fernsehgerät heißt "Glotze" oder
"Glotzkasten" und ein Kofferradio "Toaster", wobei das letztere völlig neue Möglichkeiten
für Verwechslungskomödien eröffnet.
Ein großes Gebiet sprachlicher Erneuerungen ist die Verwendung völlig unpassender und unverständlicher
Vergleiche. "Das stinkt hier wie Hubatz." Keiner, der es aussprach, konnte mir je erklären, wer
Hubatz ist und wie er denn riecht. "Ich habe geschuftet, wie ´ne Sau". Also, wenn das in der
Landwirtschaft um sich griffe, würden die Tiere nie fett werden können. "Auf Mallorca haben wir gesoffen,
wie die Blöden". Hier müßte man klären, ob das Blödsein dabei die Voraussetzung oder die Folge war. Und
so geht das weiter über "rammende Busse" bis zu "knutschenden Elchen".
Ein weiterer Trend ist, die Sprache durch eine Vielzahl völlig ungeeigneter Adjektive, nicht zum Subjekt oder
Objekt des Satzes passende Attribute aufzulockern. "Da haben wir aber tierisch gelacht" ist ebenso
unsinnig wie "tierisch gefreut" oder "tierisch gefetet" (auch "abgefeiert").
Nun kann man ja höher entwickelten Tieren, wie zum Beispiel dem Hund, durchaus die Fähigkeit zur Freude
unterstellen, aber lachen und feiern können sie denn doch nicht. Von ganz ähnlich sinnvermissender
Sprachkreativität sind Sprüche wie "höllisch amüsiert", "blödsinnig geschuftet",
"wahnsinnig gelaufen", "mörderisch gegessen". Kommentare sind hier nicht nötig. Normale
Beifügungen sind nicht mehr modern, da hört keiner zu, Beachtung findet nur die groteske, ins Unsinnige
gesteigerte Übertreibung.
Eine besondere Form der Sprachverarmung ist das Strapazieren von verstärkenden Präfixen bis zur völligen
Abgedroschenheit. In der modernen deutschen Sprache gewinnt man den Eindruck, die Deutschen machen alles im
Schlaf. Nachhaltig gefestigt wird dieser Eindruck durch Presse, Funk und Fernsehen, insbesondere durch die
Werbung. Die Deutschen haben "Traumjobs", sie machen "Traumurlaub" und andere
"Traumreisen", sie genießen "Traumessen", haben eine "Traumwohnung", alles in
allem führen sie ein "Traumleben" auf "Traumschiffen". Ein Volk von Träumern! In den
letzten Jahren ist es recht selten geworden, daß Reiseunternehmen einfach Urlaubsplätze oder Reisen anbieten.
Ohne "Traum..." geht hier gar nichts mehr.
Noch so eine mißbrauchte Vorsilbe ist "Top". Was ist aus dem alten, aus dem Englischen kommenden
Seemannbegriff für die Mastspitze eines Segelschiffes in der heutigen Zeit doch alles geworden! Erst einmal
ist "Top" ein Kleidungsstück für Frauen, bei dem sich niemand mehr bemüht, ein deutsches Wort dafür
zu finden und zu verwenden. Dann gibt es "Topleistungen" auf allen Gebieten: "Topservice",
"Topqualität", "Topberatung", "Topunterstützung" und viel, viel mehr. Es gibt
"Topverpflegung", "Toppreise", "Tophosen", "Topröcke",
"Topschuhe", "Topfahrräder" (meistens "Topbikes"), "Topautos",
"Topstraßen", "Tophäuser", sogar "Topleute". Verständnis hätte ich lediglich
für "Tophut", denn der kommt tatsächlich obendrauf. Und an dieser Stelle wende ich mich an den
Rat für deutsche Rechtschreibung. Hat man etwa vergessen zu überlegen, ob man nach reformierter
Orthographie nicht "Topp" schreiben müßte? Aus dem englischen "Tip" hat man doch
schließlich auch "Tipp" gemacht.
Sehr oft beobachtet man, daß Substantive ohne Veränderung ihrer Form als Adjektive eingesetzt werden. Sicher
haben Sie schon oft gehört, vielleicht auch selbst schon gesagt: "Das hast du klasse gemacht."
"Klasse" ist ein Substantiv, aber es wird als Adjektiv verwendet, deshalb habe ich es hier klein
geschrieben. Wissen Sie, man kann das Substantiv "Scheiße" in neuerer Sprache auch als Adjektiv
einsetzen, ohne seine morphologische Struktur zu modifizieren. Dazu muß ich eine kleine Vorgeschichte erzählen.
Mein obiger Gesprächspartner hat einen Freund, der trug die Haare am Rande nach oben gekämmt, und das rings um
die Schädeldecke herum, das Innere davon kahlgeschnitten, so daß die ganze Frisur einer Salatschüssel glich.
Dazu trug er eine zwei Nummern zu große Jeanshose, deren Bund unterhalb der Hüfte festgezurrt war, wodurch der
Hosenzwickel zwischen die Knie geriet. Ein Bild des Jammers! "Das trägt man so, ey", erklärte er.
Wohl, glaube ich, um dem Betrachter das Vorhandensein besonders großer Geschlechtsorgane zu suggerieren.
Dazu gehört dann noch ein schlurfender Gang, mit dem auf unbefestigten Wegen mit langen Hackenstrichen
nachgezeichnet wird, wohin der Typ gegangen ist. "Es könnte funktionieren", dachte ich und habe
obigen Begriff ungebremst als Adjektiv verwendet: "Du siehst scheiße aus." Ja. Das hat er verstanden.
Solche Ausdrucksweisen haben, scheint mir, große Signalwirkung. Saubere Grammatik ist nicht gefragt. Und allzu
vokabelreiche Erläuterungen werden meist schon nach der Hälfte verworfen. Die analytischen Notwendigkeiten bis
zum Verstehen sind einfach zu umfangreich, sie machen zu viel Mühe.
Mit Abkürzungen ist es so ähnlich wie mit fauligen Tomaten, die man umherwirft, ohne zu bemerken, daß man sich
dabei selbst bekleckert. Da bieten Funktelefonnetzbetreiber und neuerdings auch Internetdienstgeschäfte den
sogenannten SMS an. Damit schicken sich die Leute nun gegenseitig SMS zu, ohne den Unsinn zu bemerken, den sie
reden. Den SMS kann man nicht verschicken. Denn SMS heißt "short message service", also
Kurzmitteilungsdienst. Versenden kann man mit diesem Dienst eine Kurzmitteilung, also eine "short message",
kurz eine "SM" – das ist aber das höchste Zugeständnis, denn sinnvoller und allgemein verständlich
ist die Bezeichnung "Kurzmitteilung". Und dann seien wir doch bitte nicht so maulfaul und sagen etwa
"KM". Überhaupt muß man beim Einsatz von Abkürzungen immer abschätzen, welche sind allgemein bekannt
und welche empfehlen sich nicht für einen größeren Leserkreis. Viele Abkürzungen sind nämlich einem eingegrenzten
Personenkreis mit einer speziellen Ausbildung vorbehalten. Ich halte es für unwürdig, wenn ein Schreibender durch
die Verwendung eines großen Wustes an Abkürzungen mit seinen Lesern ein breit gefächertes Rätselraten
veranstaltet. Und wenn er dann noch seinen Brief mit "MfG" (soll heißen "Mit freundlichen
Grüßen") unterschreibt, so ist das nicht nur schreibfaul, sondern auch unhöflich.
In dem allgemeinen Bestreben, stets größer sein zu wollen, als der Nebenmann, bilden sich auch sprachlich Exzesse
aus, mit immer neuen Wörtern noch eins draufsetzen zu wollen. Früher sagte man von einer Sache, sie sei gut.
Wollte man das noch übertreffen, sagte man "sehr gut". Das reicht schon lange nicht mehr. Heute ist so
eine Sache "megagut". "Mega" hat sich indes schon so stark verbreitet, daß es auch nicht mehr
reicht. Die Sache ist jetzt "gigagut". Dabei gehen die deutschen Entsprechnungen der Begriffe Mega für Million und
Giga für Milliarde allmählich verloren. Neulich hatte ich in einem Kreuzworträtsel schon die Begriffsdefinition
"Synonym für riesig" mit der dazugehörigen Lösung "Mega" (!). Der nächste das Giga um drei
Zehnerpotenzen übertreffende Begriff "Tera" wird sicher nicht mehr lange auf sich warten lassen. Oder
hat man ihn übersprungen? Denn recht oft hört man schon den Begriff "galaktisch gut", der ja nun an
Urgewalt nicht mehr zu überbieten ist. Oder doch? Bliebe zu hoffen, daß vielleicht doch in näherer Zukunft
solche übertreibungskrachenden Krawallgebilde der Sprache "megaout" sind.
Nun stelle ich ganz bissig abschließend eine Frage: Ist Sprache in der heutigen Zeit noch ein Maß für Bildung?
Wohl eher nicht. Denn wenn doch, käme man zu dem Schluß, eine große Zahl vornehmlich junger Menschen in unserem
Lande lege hohen Wert darauf, ungebildet zu sein.