bearbeitet: 03.01.2006     

Die Differenzierung zwischen Mann und Frau
in der Sprache

und einige Bemerkungen zu feministischen Exzessen in dieser Entwicklung

Es ist ein normaler Gegenwartsprozeß, daß sich durch die geänderte Rolle der Frau in der Gesellschaft auch die Sprache verändert. Nur muß man zwischen sinnvollen Veränderungen und militant feministischem Aktionismus unterscheiden. Es ist eine schöne, auch bereichernde und begrüßenswerte Entwicklung, daß wir eine Bundeskanzlerin und keinen weiblichen Bundeskanzler haben. Vor zehn Jahren wäre ersteres noch undenkbar gewesen. Es ist auch eine gute Entwicklung, daß heute bei fast allen Berufsbezeichnungen durch Anhängen von -in, -innen eine weibliche Form zum allgemeinen Sprachgebrauch gehört. In ehemaligen Männerdomänen sind eben in der heutigen Zeit beide Geschlechter vertreten. Die Sprache trägt dem Rechnung: Kranführerin, Busfahrerinnen, Polizistin, Soldatinnen u. a. Auch an Geschäftsfrau und Kauffrau anstatt Geschäftsmann und Kaufmann in weiblicher Besetzung haben wir uns längst gewöhnt. Auch der Begriff Fachfrau setzt sich allmählich durch. Menschen, bei denen das Sprachgefühl dafür noch gehemmt ist, weichen auf Expertin aus.

Es gibt aber auch Übertreibungen, in denen bei der Wortbildung nicht zu Ende gedacht worden ist. So las ich kürzlich im Werbeaushang einer Gewerkschaft die Anrede Liebe Mitglieder und Mitgliederinnen. Dieser Stolperschritt über grammatische Grundzusammenhänge wirkt komisch. Es ist einfache sprachliche Logik, daß von Neutra keine weiblichen Formen gebildet werden können. Auch explizit weibliche Pluralformen gibt es nicht. Der Deutsch-Muttersprachler hat sich schon aus dem Sprachgefühl heraus daran gewöhnt. Oder gibt es etwa eine weibliche Form von das Kind oder das Weib? Die Kindin und die Weibin? Ebensowenig können von Pluralia weibliche Formen gebildet werden, etwa von die Leute. Vielleicht liebe Leute und Leutinnen?

Nun entstehen aber auch bei den begrüßenswerten männlch-weiblich-Differenzierungen Schreibformen, die in Schreibfaulheit begründet sein mögen, jedoch wegen ihres massenhaften Auftretens nicht vertretbar sind: Schreibweisen wie Student/innen oder auch StudentInnen, Bürger/innen oder BürgerInnen, womit man sowohl die männlichen als auch die weiblichen Begriffsträger ansprechen möchte, sind wohl eben kein Ausdruck einer hohen Schreibkultur. Es ist schon angebracht zu schreiben: Studentinnen und Studenten, Bürgerinnen und Bürger, soviel Zeit muß sein. Andererseits sollte man sich auch auf die im Deutschen üblichen agenuinen Pluralformen besinnen: Wenn ich von allen Bürgern unseres Landes spreche, sind damit sowohl Frauen als auch Männer gemeint. Exzessiver Feminismus beginnt allerdings zunehmend, das zu leugnen. In der Statistik z. B. gibt es den Begriff der Elter. Das ist entweder der Vater oder die Mutter. Dies ist aber sicher Fachsprache und wird sich gewiß nicht im allgemeinen Sprachgebrauch behaupten.

Die Ursache für das Entstehen einer großen Zahl von Fehlern und Übertreibungen liegt in der völlig unbegründeten Gleichsetzung des grammatischen Genus mit dem biologischen Geschlecht des Bezeichnungsträgers. Eine ausführliche wissenschaftliche Analyse hierzu hat der Schweizer Pädagoge und Sprachwissenschaftler Dr. Arthur Brühlmeier verfaßt, auf die ich hier mit seiner freundlichen Genehmigung verweise.

Den agenuinen Plural gibt es aber nicht nur im Deutschen. Schauen wir einmal auf die Anrede Meine Damen und Herren. Im Englischen lautet sie Ladies and Gentlemen. Diese Anrede lautet im Russischen господа. Dies ist jedoch der Plural von господин (Herr). Dame ist im Russischen госпожа. So werden also mit dem Plural der männlichen Form beide Geschlechter angesprochen - somit ist es ein agenuiner Plural.

Eine recht alberne feministische Marotte ist der Versuch, das Suffix man mit einer weiblichen Form zu ergänzen, weil man in ihm etwas männliches zu erkennen glaubt. So liest man dann: Das Modejournal zeigt, was frau im Frühjahr trägt. Leider wollen viele damit nicht sprachlichen Witz zeigen, sie meinen es ernst. Trotzdem bleibt es auf dem Niveau von Scherzausdrücken wie noch und nöcher oder in keinster Weise oder nichtsdestowenigertrotz.

In anderen Sprachen gibt es zu diesem Thema andere Eigentümlichkeiten. Hier ein kleiner Ausflug mit wenigen Beispielen.

In einer sehr frühen Stufe der Sprachentwicklung sind z. B. in allen slawischen Sprachen weibliche Formen der Verbkonjugationen entstanden, jedoch nur in den Präteritumsformen. Nicht im Präsens und nicht in den Futura. Warum das so ist, kann ich nicht sagen. Es wäre zu erwägen, einen Sprachwissenschaftler oder einen Sprachhistoriker mit speziellen Kenntnissen in der Slawistik zu konsultieren. Beispiele aus dem Russischen:
он говорил - она говорила (er, sie sprach)
он читал - она читала (er, sie las)
он пошел - она пошла (er, sie ging)
Die germanischen Sprachen haben diese Eigenheit nicht.

Die weiblichen Formen der Substantive und der Adjektive reichen in den slawischen Sprachen historisch viel weiter zurück als zum Beispiel im Deutschen. Während eine große Zahl davon bei uns erst im 20. Jhd. fußgefaßt hat, gibt es sie z. B. im Russischen schon sehr viel länger.
солдат - солдатка (Soldat - Soldatin)
офицер - офицерка (Offizier - ... - mit Offizierin tun wir uns noch schwer.)
водитель - водительница (Fahrer - Fahrerin)
продавец - продавщица (Verkäufer - Verkäuferin)
учитель - учительница (Lehrer - Lehrerin)
крановщик - крановщица (Kranfahrer - Kranfahrerin)
Aber es gibt auch Ausnahmen: So gibt es keine weibliche Form von врач - der Arzt, администратор - der Verwalter, der Administrator, товарищ - der Genosse. In weiblicher Anwendung der Wörter werden aber die Attribute mit weiblichen Endungen gesetzt. Andererseits gibt es keine männliche Form von папа - der Vater, der Papa. Da im Russischen alle auf a endenden Substantive weiblich sind, ergibt sich auch hier eine Regelabweichung, denn Attribute werden mit den männlichen Endungen verwendet. Diese Verletzung der Kongruenz der Form ist aber allgemein üblich und hat sich in der Sprache behauptet: мой папа, nicht моя папа. Auch in anderen grammatischen Details bemerkt man das: Z. B. дед - der Großvater, grammatisch eine männliche Form. Bildet man davon das Deminutivum дедушка - Großväterchen, so liegt eine weibliche Form vor, die jedoch in Zusammensetzung mit Attributen männlich behandelt wird: мой любимый дедушка, mein liebes Großväterchen, nicht моя любимая дедушка.

Im Englischen z. B. gibt es in dieser Entwicklung bisher kaum Ansätze. So ist friend - Freund, sowohl männlich als auch weiblich. Soll der Unterschied verdeutlicht werden, muß man Umschreibungen verwenden, z. B. girlfriend und boyfriend - Freundin und Freund. Das mag daran liegen, daß im Englischen morphologische Formen, etwa Endungen oder Präfixe, die einen Begriff als maskulin oder feminin ausweisen, nicht existieren. Das beinhaltet aber kein Urteil über Vollständigkeit oder etwa Qualität der Sprache. Das Problem existiert einfach nicht. Ein englisch sprechendes Volk denkt über die Notwendigkeit solcher Formen gar nicht nach.

Zurück zum Deutschen. Es gibt eine große Zahl von Begriffen, die in der Vergangenheit ausschließlich männlicher Natur waren, so waren sie auch durch feste Verbindung mit dem Wort Mann als bestimmendes Substantiv gekoppelt: der Geschäftsmann, der Kaufmann, der Gasmann, der Schutzmann, der Amtmann, der Weihnachtsmann und viele andere. Bei diesen Wörtern wird in unserer Zeit schon in den meisten Fällen -mann durch -frau ersetzt. Allerdings mit Ausnahmen: Der Amtmann als Beamtendienstgrad bleibt Amtmann, auch wenn ihn eine Beamtin trägt. Auch Weihnachtsfrauen gibt es nicht. Natürlich übernehmen heute auch Frauen die Darstellung dieser Figur, doch schlüpfen sie dazu einfach in die männliche Rolle. Solche Ausnahmen gibt es noch mehr, bei denen von männlichen Begriffen keine weiblichen Formen gebildet werden, obwohl der Existenz weiblicher Pendants kaum widersprochen werden kann: der Blödmann, der Dussel, im Bayerischen der Depp.

Gewisse Schreibweisen französischer Fremdwörter mit dem im Deutschen wie ö gesprochenen eu haben ihre Tücken: Friseur - Friseuse. Heute auch üblich: Frisör - Frisörin, aber auch noch Friseurin, falsch jedoch ist: Friseusin. Falsch ist sicher auch die Auffassung, Friseuse beinhalte gegenüber Frisörin eine geringschätzende Bedeutung. Vermutlich über die Verbreitung der Geschichten um Manta-Manni entstanden, kann man die Auffassung nicht als sprachentwicklerischen Bedeutungswandel einstufen.

Es gibt auch im Deutschen Wörter, deren morphologische Struktur die männlich-weiblich-Unterscheidung nicht zuläßt: Die Gewählte und der Gewählte, die Abgeordnete und der Abgeordnete - wir bekommen keine weibliche Unterscheidung hinein. -in oder -innen funktioniert hier nicht. Hier bleibt nur der Artikel als Kennzeichen. Auch der Mensch hat keine weibliche Form. Trotzdem ist der Mensch weiblich oder männlich. Aber auch das Gegenteil gibt es: Die Person. Es gibt keine männliche Form, wenngleich eine Person auch männlich sein kann. Was tun mit Doktor, Professor, Dekan? Wie steht es um die weiblichen Formen? Frau Doktorin, Frau Professorin, Frau Dekanin ist als Anrede unüblich. Es gibt vereinzelt Ansätze, die zur Zeit jedoch noch nicht zum allgemeinen Sprachgebrauch zählen. Hier muß man die Sprachentwicklung verfolgen, es läßt sich nicht reglementieren. Mit solchen Ausnahmen müssen wir uns wohl arrangieren. Man kann sie nicht wegreformieren oder anderweitig gewaltsam verändern.

Alles in allem, die stärkere Betonung des Weiblichen in morphologischen und grammatischen Formen der Sprache ist mit Blick auf die Veränderung der gesellschaftlichen Rolle der Frau ein gesetzmäßiger und auch notwendiger Prozeß. Er vollzieht sich in vielen Sprachen. Dies ist ein Prozeß von Jahrzehnten. Die überschnelle Durchsetzung von Wunschvorstellungen einzelner wird dabei keinen Erfolg zeigen. Sprachen werden von Völkern gesprochen und entwickelt. Die Rolle des Individuums und seiner Auffassungen wird dabei stets in die Volksmehrheit integriert sein und nur ein dieser Rolle angemessenes Gewicht haben. Zu warnen ist aber vor Auswüchsen, wie oben teilweise gezeigt, die die Sprache beschädigen, das Lesen erschweren und zum Teil ulkig wirken. Gruppierungen von Sprachrevoluzzern, die sich über das Volk zu stellen versuchen, werden mit ihren Absichten und Experimenten gesetzmäßig scheitern.