bearbeitet: 14.03.2012     

Wir sind die Alten aus dem Osten

oder

wie sich unser Leben und unsere Muttersprache verändert haben

Wir wurden vor dem Krieg geboren. Deshalb sind wir noch Friedensware. Wir lebten im Osten unseres Landes - später hieß das dann DDR. Uns gab es schon vor der Erfindung des Fernsehens, des Penicillins, der Schluckimpfung, der Tiefkühlkost und der Nylonstrümpfe und wir kannten noch keine Kontaktlinsen und nicht "die Pille". Wir waren schon da, bevor Atomkraftwerke, Laserkanonen, Telefonkarten, Credit cards, Handys, Telefax, Kugelschreiber und Faserstifte das Leben bereicherten. Radargeräte gab es auch noch nicht. Später nannten wir das Funkmeßtechnik. Wir haben die Friedensfahrt auf der Mittelwelle verfolgt, ohne Satelliten zu bemühen. Wir kannten noch keine Stereoanlage, keinen Walkman, CD-Player, keinen Waschvollautomaten, Wäschetrockner, Geschirrspüler und keine Auto-Klimaanlage, Satellitennavigation, Tri-Band-Handys in GSM-Netzen, MP3-Player, so wie die heutige Generation nicht weiß, was das ist: ein Großsuper mit 12 Kreisen, ein Audion-Volksempfänger, ein Rechenschieber, ein Nachtgeschirr, ein Holzvergaser, eine Wringmaschine, eine Wäscherolle, ein Überzieher oder ein Sensenbaum. Deshalb ist die Verständigung mit den Jüngeren manchmal etwas erschwert.

Die Schule begann mit Schiefertafel und Griffel, um Rechnen und Schreiben zu lernen. Der Patronenfüller war noch nicht erfunden. An Computer war noch lange nicht zu denken. Konrad Zuse begann erst darüber zu sinnieren. Eine Rechenmaschine hatte noch viele bunte Kugeln, nicht Tasten und Display. An unserem Studienort war sie noch in der Neuzeit präsent und hieß "счеты". Mit etwas Witz nannten wir sie dann Kugelelektronik. Die Korrespondenz mit unseren Eltern Iief noch handschriftlich per Post und nicht per E-Mail oder mit einem Messenger im Chat Room über DSL 6000. Wir rechneten noch mit Zettel und Bleistift und auch noch im Kopf, nicht 3 * 4 mit dem Taschenrechner. Später nannten wir dann die mechanische Rechenmaschine "Felix M" liebevoll den Kurbelinduktor.

Milch gab es noch in der Milchkanne beim Kaufmann an der Ecke und nicht im Tetrapack aus dem Supermarkt. Kaffee wurde aus einer großen Kiste geschaufelt und nicht vakuumverpackt im Pfundpaket geliefert. Später haben wir Witze über Kaffe Mix gemacht. Politische Witze waren mit Vorsicht zu erzählen. Leicht hätte man sonst mit dem Berufswerbeslogan des MfS Bekanntschaft machen können: "Besser Sie kommen zu uns als wir zu Ihnen." Wir nahmen noch die Zeitung statt Hakle feucht.

Über den Mond wurden romantische Gedichte verfaßt und kein Mensch dachte daran, ihn betreten zu wollen. Daß wir einmal mit menschengeschaffenem kosmischem Müll zu tun haben werden, konnte niemand ahnen. Das Sonnensystem hatte 9 Planeten, das war für uns selbstverständlich. Heute ist das überholt. Pluto mit seinen 2700 km Durchmesser ist den Astronomen zu klein geworden, den lassen wir weg. Nun sind es noch 8.

Zu unserer Kinderzeit waren kleine Kaninchen noch keine "Bunnies", Schildkröten keine "Turtles", aber "черепахи" haben wir verstanden. Und Käfer waren noch keine Volkswagen. Wir kannten "die Fledermaus" von Johann Strauß und nicht "Batman" von Bob Kane. Wir waren noch Rollerfahrer und Märchenleser und keine Inlineskater und Onlinefreaks. Wir wußten noch nicht, daß die Deutschen Menschenfresser sind: Sie essen Wiener, Berliner, Hamburger, Amerikaner, Kameruner, sogar Deutschländer. Und Hot Dogs essen sie auch. Wir hatten noch nichts von Pizza, Mc Donalds und Instant coffee gehört. Der Bestellspruch "Pommes mit alles" war noch nicht geboren. Bei uns gab es manchmal Pampelmusen in der Kaufhalle und nicht "Grape fruits" bei Lidl oder Spar. Wenn wir Glück hatten, kriegten wir mal Moosbeerensaft, aber "Cranberry juice" hätten wir das nicht genannt.

Wenn wir etwas brauchten, hatten wir so unsere Beziehungen, keine "Connections". Wir lebten nach unseren Verhältnissen, nicht nach "Relations". Wir kannten Ereignisse und große Ereignisse, keine "Events" oder "Mega-Events". Wir machten Geländefahrten, keine "Off road tours". Wir fuhren in den Urlaub - geplant und nicht "last minute" mit "all inclusive". Manche sind nach Ungarn gefahren, an den Plattensee, und nicht nach Malle geflogen, zu Ballermann 6. Wir mähten die Wiese noch mit der Sense und hatten keinen allradgetriebenen Aufsitzer und keinen Rasentraktor. Und wenn es mal regnete, hatten wir einen Regenmantel oder eine NATO-Plane. Heute trägt man "Out door water resistant clothes". Für Massenmitteilungen hatten wir Flugblätter, keine "Flyer".

Wir lasen Zukunftsromane, in denen fremdes Leben spannend beschrieben wurde, keine "Science-Fictions", die nur noch akzeptiert werden, wenn alles in Fetzen fliegt. Wir bauten Schleppdächer, keine "Carports", trugen Sportschuhe, keine "Jogging boots", im Sport hatten wir Sieger, keine "Champions", wir konstruierten Empfänger, keine "Receiver" (oder "Recaiver", wie die sagen, die gern möchten, aber nicht können), wir hatten Aktentaschen, keine "Paperbags", wir gingen in die Kneipe, nicht ins "Irish pub", vergnügten uns auf der Tanzfläche nach den Rhythmen des Schlagzeugers, nicht auf dem "Dance floor by drummers hot".

Als wir noch Kinder waren, spielten wir Völkerball auf dem Sportplatz. Ganz anders als heute, da unsere "Teenies im Skate Center mit ihren Roller blades in den Half pipes ihre Jumps celebraten". Schlechtes Deutsch? Nee, gar kein Deutsch. Verloren gegangen. Verstehen auch viele nicht, aber sie reden so.

Mit jemandem zu gehen hieß, so gut wie verlobt zu sein und es wurde zuerst geheiratet und dann zusammengelebt. Verwegen geschwenkte lange Röcke waren ebenso wirksam wie Petticoats oder Hot pants. Nacktes Fleisch wurde viel weniger gezeigt. Wir sind die letzte Generation, die so einfältig war zu glauben, eine Frau müsse einen Mann heiraten, um ein Kind zu bekommen. Heute palabern Extremschwachköpfe über die Eheschließung auf Zeit (Gabriele Pauli, CDU, Vorsitzkandidatin mit Hirnschaden!).

Wir haben unsere Kinder noch in den Kindergarten gebracht und nicht unsere "Kids in die Kita". Wir waren schon da, bevor es so interessante Dinge gab, wie den Hausmann (die männliche Hausfrau), die Gleichstellungsbeauftragte, die Emanzipation, die Aussteiger, die computergesteuerte Heiratsvermittlung, "weight watchers", "slim fast", "body lotions", Sonnenstudios und Zweitwagen. Gelernt haben unsere Kinder später als Lehrlinge, nicht als "Azubis". Das Kindererziehungsjahr für Väter mag möglicherweise zur Erfindung der Pampers geführt haben. Windeln waschen wie unsere Frauen wollen die nicht mehr.

Zu unserer Zeit gab es noch keine Gruppentherapie in Selbsthilfegruppen, obwohl der Krieg an uns auch nicht spurlos vorübergegangen war. Unsere Probleme haben wir selbst gelöst, keine Gurus und auch keine Psychoanalytiker haben uns dabei geholfen.

Wir haben damals keine Musik vom Tape oder über UKW in Dolby surround oder die New Yorker Symphoniker live via Satellit gehört. Es gab auch keine elektronischen Schreibmaschinen, Laserprinter, Herztransplantationen, Nierenspenden, Silikonbrüste, Rechtschreibreformen und Jungen, die Ohrringe trugen. Mit DNA-Analysen konnten wir gar nichts anfangen. Aber wir haben dann gelernt, es zu verstehen, auch, daß es auf deutsch DNS heißt, was viele junge Leute nicht wissen.

Unsere Ernährung war viel einfacher. Wußten wir, was das ist? Fruchtjoghurt, Reis im Kochbeutel, Kiwis, Kiwanos, Kakis, Clementinen, Litschis, Curubas, Kapstachelbeeren, Karambolas, Nashis, Tamarillos, Feta, Mozzarella? Wir wußten es nicht. Heute fragt man im Internet, was das ist und findet dabei noch vieles andere, zugesichert eßbar, unbekannt, nie gehört.

Die Wörter "Software" für alles, was man nicht anfassen oder "Non food" für alles, was man nicht essen und trinken kann, waren noch nicht "in". Wir sagten noch "Guten Tag" und nicht "Hallo", "Hey" oder "Hi" und wenn wir etwas schön fanden, sagten wir auch, daß es schön war und nicht "cool" oder "affengeil".

Wir liefen schon auf der Straße herum, als man noch für fünf Pfennige ein Eis, einen Beutel Studentenfutter oder eine Flasche Selterswasser kaufen konnte. Wir frankierten unsere Briefe mit 20-Pfennig-Marken und konnten für zehn Pfennige mit der Straßenbahn von einem Ende bis zum anderen fahren. Heute gibt es dafür elektronische Fahrkartenautomaten mit vielen bunten Knöpfen, Lämpchen und Schildern, die schwer zu durchschauen sind. Und wenn du mit einem intellektuellen Gewaltakt da durchgehechtet bist und dann fünf Euro berappt hast, ist dir unklar, ob der dich nicht behumst hat.

Wir sammelten und bügelten noch alle Schleifen und Geschenkpapier zur Wiederverwendung glatt und waren Meister im Falten von Zahnpastatuben, um auch das letzte Klümpchen herauszuquetschen. Wir haben alle Plastiktüten (wir sagten Plastetüten) aufgehoben - vielleicht braucht man sie ja noch. Keinen Holzscheit haben wir weggeworfen - man kann ja noch was draus bauen. Wenn dein Vater für dich, als du 7 warst, eine Autobestellung aufgegeben hat, hattest du noch bis 25 Zeit, deine Fahrerlaubnis zu bestehen und konntest danach bis zum Erhalt deines ersten Autos alles wieder verlernen.

Wir mußten fast alles selber machen und mit dem auskommen, was wir hatten. Über unsere Verhältnisse zu leben oder "auf Pump", wäre undenkbar gewesen. Unser Geld hatten wir auf der Sparkasse. Dazu hatten wir ein Sparbuch und keine "Euro Master Card", "Credit Card", oder "American Express Card". Die Sparkasse gehörte auch zu keiner "Cash group", "Investment Bank" oder "UniCredit Group". Wenn du dein Konto überzogen hattest, hat dich die Kassiererin rund gemacht. Heute heißt das Dispositionskredit, die Bank freut sich und knöpft dir Zinsen ab (8%! Und wenn du den Dispo überziehst, dann 16%).

Später dann war Werbung im Fernsehen eine abgeschlossene Sendung, die man verfolgte, um zu wissen, was man vielleicht manchmal kaufen könnte. Heute ist Werbung ein Abendprogramm, das hin und wider von kürzeren Filmszenen unterbrochen wird. Autofahren war auch ganz anders. 90 durften wir auf der Landstraße fahren und 100 auf der Autobahn. Aber dafür haben wir einen Liter Benzin für 1,50 DDR-Mark gekriegt, immer, ohne jedesmal über neue Preise zu staunen. Und die Miete für deine Wohnung war sehr niedrig, falls dir mal eine zugesprochen wurde.

"Null Bock" kannten wir nicht, denn "Bock" mußten wir immer haben, ohne zu wissen, was das ist. Freude am Dienst war unser Grundsatz und nicht "Fit for Fun".

Von dieser ganzen Entwicklung haben wir nicht alles angenommen - oder nicht annehmen wollen. Deshalb scheinen wir für die Jüngeren auch manchmal etwas weltfremd. Aber den Krieg und das alles haben wir überlebt. Wir sind der Statistik zufolge die gesündeste Generation mit der höchsten Lebenserwartung. Sehr zum Ärger der Rentenpolitiker, denen täglich neues zur Beschneidung unseres Status' einfällt. Es ist der Beweis, daß unsere Lebensweise vernünftig war, auch wenn jüngere Leute sie pikiert als "out of range" bezeichnen.

Darum haben wir allen Grund zum Feiern, hier an diesem schönen Orte. Oder vielleicht an dieser "Funny location"? Wir freuen uns, daß wir noch feiern können, ohne "geliftet" und "gebodybuildet" zu sein.

Auf unser gemeinsames Wohl! Prosit, wie der Lateiner sagt. Es möge nützen.