bearbeitet: 20.04.2018     

Die Physiker und die Physik
Eine Betrachtung von Dr. Manfred Pohl

In der heutigen Zeit ist es nach Ansicht vieler Wissenschaftler unbestreitbar, daß es in der Physik, insbesondere in der theoretischen Physik, erhebliche Probleme gibt, kurz gesprochen, daß die Physik in einer Krise steckt, aus der sie sich nur lösen kann, wenn zu einer Reihe Probleme der Grundlagen der physikalischen Wissenschaft ein anderes Denken beginnt.

Physik ist die Wissenschaft von der Erforschung der Materie, ihrer Zustände und ihrer Bewegungen. Schon an dieser Stelle beginnen die Diskrepanzen, weil es keinen eindeutig definierten Materiebegriff mehr gibt, der in den 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts noch bei allgemeiner Akzeptanz Bestand hatte. Zu viele Physiker meinen heute, den Materiebegriff auf ganz eigene Weise festlegen zu müssen, dabei entfernen sie sich immer weiter von den über viele Jahrhunderte gewachsenen, erkannten und bewiesenen Tatsachen. Zu viele religiöse Einflüsse machen sich in jüngerer Zeit wieder in der Wissenschaft breit und verfälschen naturwissenschaftliche Erkenntnisse zugunsten des Glaubens an überirdische Bewußtseinsformen. So schrieb mir ein Mitarbeiter der Enzyklopädie Wikipedia auf meine Kritik am dort vertretenen Materiebegriff: "Es wird sich aber kaum ein Physiker auf längliche Diskussionen einlassen, was genau nun unter dem Begriff Materie zu verstehen sei. Wer genau sein will, nutzt ohnehin andere Begriffe." Welche das sind, hat er nicht gesagt. Solche und ähnliche Fehlhaltungen gibt es in großer Zahl. So wird postuliert, Masse sei eine Eigenschaft der Materie, aber es wird auch die diametral entgegengesetzte Meinung geäußert, Materie sei alles, was Raum einnimmt und eine Masse besitzt. Dann wieder wird behauptet, Energie gehöre nicht zur Materie. Es gibt auch die völlig konfuse Darstellung, Masse sei der im Vergleich zur Materie weitere Begriff, weil er auch Energie umfasse. Mit diesem Durcheinander sich widersprechender Ansichten ist keine zielgerichtete Arbeit in der Physik und keine Koordination mit anderen Naturwissenschaften mehr möglich. Es sei deshalb die dialektisch-materialistische Materiedefinition noch einmal in Erinnerung gebracht, ohne die physikalische Forschungsarbeit keine brauchbaren Ergebnisse hervorbringen kann und stets in die Irre führen muß:
Materie ist die objektiv außerhalb des Bewußtseins existierende Realität, die nicht entstehen und nicht verschwinden kann. Ihre Existenzbedingungen sind Raum und Zeit, ihre Existenzweise ist die Bewegung. Sie existiert unendlich im Raum und ewig in der Zeit.

Ich will die Krise der Physik anhand einer fiktiven Episode darstellen, in der ich die möglichen Gedankengänge eines neuzeitlichen Physikers - nennen wir ihn Phy - zu analysieren versuche.

Herr Phy, ein junger Mann mit guten Entwicklungsmöglichkeiten, hat viele Jahre seines Lebens mit dem Studium der Physik ausgefüllt. Dabei war er bestrebt, auf der Grundlage seines naturwissenschaftlichen Denkens und mit Hilfe seiner Professoren und Dozenten all das Wissen und all die Erkenntnisse aufzunehmen, die in Hunderten Jahren durch große Denker und Wissenschaftler entdeckt, bewiesen, erforscht und niedergeschrieben wurden. Um nur einige zu nennen - alle kann man nicht, es sind überaus viele - Halton Arp, André Koch Torres Assis, Albert Einstein, Galileo Galilei, Heinrich Hertz, Johannes Kepler, Nikolaus Kopernikus, James Clerk Maxwell, Isaak Newton, Wilhelm Weber - aber auch an die historisch sehr alten sei erinnert - Archimedes, Aristoteles, Platon, Pythagoras, Sokrates, Thales und viele, viele andere.

Im Verlaufe seines Studiums hat Herr Phy unter anderem auch den Energieerhaltungssatz kennengelernt. Er hat ihn verstanden und kann ihn theoretisch mit mathematischen Mitteln beweisen. Und wenn er über ein gutes Labor verfügt, kann er den Beweis auch mit Experimenten, also durch Beobachtung der Natur belegen. Deshalb weiß Herr Phy sehr sicher, daß Energie nicht aus Nichts entstehen kann, und er weiß auch, daß Energie nicht verschwinden kann, daß sie nur aus einer Energieform in eine andere umgewandelt werden kann. Deshalb käme er auch niemals auf die Idee, ein Perpetuum Mobile konstruieren zu wollen, was unverständlicherweise sogar heute noch verschiedentlich versucht wird. Die häufig anzutreffenden skurrilen Auffassungen über das Wesen der Materie lassen solche Ideen sprießen. An anderer Stelle seines Studiums hat sich Herr Phy auch gründlich mit der Masse-Energie-Äquivalenz auseinandergesetzt, die Albert Einstein als Naturgesetz im Jahre 1905 entdeckt, abgeleitet und bewiesen hat (E = m·c2). Er ist befähigt, diese Ableitung auszuführen und zu verstehen. So weiß er also auch, daß Masse und Energie zwei äquivalente Darstellungsentitäten der Materie sind, woraus er korrekt abgeleitet hat, daß auch Masse nicht entstehen und nicht verschwinden kann. Und außerdem hat er ganz nebenbei erkannt, daß das Verhältnis von Energie zu Masse konstant ist (E/m = c2). Diese Erkenntnisse sind allgemein bewiesen und werden von den meisten Physikern anerkannt.

Trotz dieser gesicherten Erkenntnisse wird an vielen Stellen immer wieder erklärt, daß Energie nicht zur Materie gehöre. Materie sei alles das, was Masse enthielt. Aber wenn sie doch Masse enthält, hat sie doch auch Energie, sonst wäre doch die Masse-Energie-Äquivalenz falsch. Das ist doch eine ihrer Kernaussagen. Mir kommt das so vor, als meinte jemand, Nudeln und Spaghetti sind Teigwaren, und somit sind beide substantiell äquivalent, dann aber behauptet dieser Jemand, Spaghetti gehören nicht zu den Teigwaren. Das ist kurios, es läßt jegliche Logik vermissen.

Herr Phy jedoch folgt dieser zwingenden Logik und hat deshalb aus diesem Wissen auch erkannt, daß Masse und Energie, die Materie also, ewig existieren. Denn wenn sie nicht entstanden sind und nicht verschwinden können, müssen sie also ewig vorhanden sein. Niemand kann sich dieser elementaren Logik entziehen. Das heißt also: Ewig in der Vergangenheit - es gab sie immer - und ewig in der Zukunft - es wird sie immer geben. Auch wenn wir uns die Unendlichkeit nicht vorstellen können, müssen wir diese unwiderlegbare Tatsache zur Kenntnis nehmen, Herr Phy hat dies auch getan. Es bleibt also wahrlich kein anderer Ausweg, als die wissenschaftsferne Idee von einem Urknall, mit dem das Universum aus Nichts hervorgegangen sein soll, aus der Physik zu entfernen.

Und plötzlich, ohne vorangehende Erklärungen, wirft Herr Phy die Frage auf, wann denn das Universum entstanden sei und auf welche Weise. Nanu? Wie denn nun? Ist die Materie doch "entstanden"? Das ganze Wissen ist nicht mehr gültig? Alles falsch? "Nein", sagt Herr Phy, "das gilt doch alles erst, seitdem das Universum existiert." Aha. Die Naturgesetze hat es also einst auch nicht gegeben. Die gibt es erst, seit das Universum vorhanden ist. Aber als es nun vorhanden war, konnten wir doch zeigen, daß es ewig existiert. Es ist also entstanden und es existiert ewig? - das ist ein logisches Dilemma, aus dem wir nicht herauskommen: Es existiert ewig - aber erst, seitdem es vorhanden ist - das ist ein Purzelbaum des Denkens! Es muß also eine Entscheidung her. Entweder das ganze Wissen der vielen großen Denker und Wissenschaftler der Menschheit ist falsch, dann ist die Materie eben doch zu einem Zeitpunkt X aus Nichts entstanden - oder aber es ist richtig, dann ist die Materie nicht entstanden, sie war immer da, und es hat keine Entstehung des Universums, keinen Urknall gegeben. Ist es vielleicht möglich, daß Herr Phy so stark religiös festgelegt ist, daß die Schöpfungsidee für ihn ein Axiom ist, aus dem er sich nicht herauslösen kann? Dann müßten zu seiner Ehrenrettung Überlegungen angestellt werden, ob man die Schöpfungsidee mit der Physik in Übereinstimmung bringen kann. Da aber entstehen unlösbare Probleme, es geht einfach nicht. Entweder es gibt eine Schöpfung, dann ist die Physik falsch - oder der Schöpfungsgedanke ist unrealistisch, dann können wir die physikalischen Erkenntnisse auch weiterhin verwenden. Beides zugleich ist unmöglich. Herr Phy müßte deshalb noch einmal darüber nachdenken, ob er nicht doch die Frage nach der Entstehung des Universums als unsinnig beiseite legen könnte.

Daß die Schöpfungsidee heute immer noch als mögliche Option in der Physik umherspukt, verdanken wir dem belgischen Jesuitenpater Abbé Georges Edouard Lemaitre (1894-1966), Theologe und Astrophysiker, der im Jahre 1927 die Zusammenführung der Schöpfung mit der Physik als "…ein kosmisches Ei, ein Uratom" beschrieb, "das im Moment der Entstehung des Universums explodierte, und so die gesamte Materie des Universums hervorgebracht hat." Auf einem Kongreß in London löste er mit dieser Idee zunächst Gelächter aus. Man glossierte sie als einen "Big bang", ursprünglich ein Scherzwort, aber durch den beharrlichen Einfluß des Klerus wurde dieser Gedanke zunehmend als seriös etabliert. Immer häufiger wurde diese unidirektionale "Bombensplitterbewegung" der kosmischen Objekte als festliegend, als unumstößlich angenommen, immer weniger wurde sie hinterfragt. In den 60er Jahren habe ich als junger Mensch mit einigem Kopfschütteln einen Prozeß miterlebt, in dem immer mehr Physiker behaupteten, der Urknall sei eine gesicherte Erkenntnis. Nach der Entdeckung der Rotverschiebung der kosmischen Strahlung durch Edwin Hubble im Jahre 1929 und der ersten erfolgreichen Durchführung einer Kernspaltung durch Otto Hahn und Fritz Straßmann im Jahre 1938 erhielt die Idee vom kosmischen Ur-Ei weitere Nahrung. So sind wir in der deutschen Sprache zum Begriff "Urknall" gekommen. Man erklärte, es habe einen Punkt unendlicher Energiedichte gegeben, eine Singularität, die plötzlich zu expandieren begann. Warum sie das tat, kann niemand sagen. So kam es, daß wir noch heute mit dieser unbrauchbaren Idee leben müssen. Es ist schon sehr skurril: Zuerst gab es nichts - und plötzlich - bum! - da war die Materie da.

Es gibt noch immer viele hochgebildete Mathematiker, die keine Mühe scheuen, sich an den Zeitpunkt dieser "Explosion" heranrechnen zu wollen. Man glaubt zur Zeit, dies sei bis 10-43 Sekunden nach dem Urknall gelungen. Das aber sind nichts als mathematische Spielchen ohne Sachinhalt, denn einen Urknall kann es, wie wir gezeigt haben, nicht gegeben haben.

Ich bin sicher, auch Herr Phy kennt den Zusammenhang zwischen Masse und Gravitation. Und aus der Masse-Energie-Äquivalenz weiß er auch, daß es Energie ohne Masse wie auch Masse ohne Energie nicht gibt, denn E/m = c2 = const. So wäre der Punkt unendlicher Energiedichte auch ein Punkt unendlicher Massendichte und folglich hätte er eine unendliche innere Gravitation. Wie wohl könnte ein solcher Punkt expandieren?

Und dies ist nur ein Argument unter vielen für die Überzeugung, daß man die Urknallidee begraben muß. Es gibt noch weitere schwerwiegende Einwände. Nur einige seien genannt.

Auf alle diese Ideen kann man nur kommen, wenn man die Masse-Energie-Äquivalenz nicht verstanden hat. Immer wieder wird davon geredet, man könne Masse in Energie "umwandeln" und zurück. Frei nach Harald Lesch, der postuliert, Masse sei "geronnene" Energie. Wäre eine solche Umwandlung möglich, müßte am Ende doch nach Belieben Masse oder Energie entstehen oder verschwinden können. Wir haben aber oben schon gezeigt, daß das Unsinn ist. Man kann dies sogar mit elementaren mathematischen Mitteln zeigen (hier nachlesbar).

So wendet sich also Herr Phy mit seiner Frage nach der Entstehung des Universums gegen seine eigene Überzeugung, die er mit den Kenntnissen der Naturgesetze erworben hat (oder haben sollte??). Es ist nicht zu verstehen, daß die heute offiziell vertretenen Auffassungen von der Entstehung des Universums aus Nichts ausgehen. Bereits ein aufmerksamer Gymnasialschüler kann mit einfachen Mitteln eine solche Denkweise widerlegen. Ein langjähriges Studium der Physik ist dazu gar nicht vonnöten. Warum tut Herr Phy das? Warum stellt er eine so abwegige Frage?

Für die Beantwortung dieser Frage muß man die Wege der Physik verlassen und an ihrer statt die gesellschaftspolitischen Zusammenhänge ansehen. Es gibt mehrere Beispiele aus der Praxis, daß ein junger Physiker, der sich anschickt, aus eigenen Überlegungen heraus den sogenannten "offiziellen" Auffassungen zu widersprechen, sein Fortkommen in der Wissenschaft, heißt, seine Karriere riskiert und seinen eigenen wissenschaftlichen Untergang herbeiführt. Hat er das erkannt, verhält er sich besser still und hält sich an das, was die Machtstrukturen der heutigen Wissenschaft mit einer tiefen Verbeugung vor dem Klerus artig aufsagen. Schließlich muß man ja bei aller wissenschaftlichen Korrektheit auch für seinen Lebensunterhalt sorgen, und dafür braucht man einen guten Arbeitsplatz. Deshalb wird es wohl so sein, daß Herr Phy ein guter Physiker ist, aus existentiellen Gründen aber seine Meinung für sich behält.

Es gab in den Reihen der Kosmologen im Jahre 2008 eine Schrecksituation. Papst Benedikt XVI. äußerte den Gedanken, es stünde nicht mit dem Glauben in Konflikt, wenn man annähme, auch vor dem Urknall habe eine Schöpfung existiert. Er bekundete, wissenschaftliche Theorien zum Ursprung und zur Entwicklung von Universum und Menschheit stünden zwar nicht in Konflikt mit dem Glauben, ließen aber viele Fragen offen. Diese Äußerung hat die Kosmologie in Aufruhr versetzt. Ist nun der Anfang der Welt falsch? Hat es vor dem Urknall doch schon ein Universum gegeben? Auch sein Nachfolger Papst Franziskus manifestierte diese Haltung, indem er sagte: "Katholischer Glaube und wissenschaftliche Erkenntnisse sind kein Gegensatz. Der Urknall widerspricht nicht einer göttlichen Intervention, er setze sie sogar voraus." Es könnte durchaus sein, daß Stephen Hawking einen Anteil an diesem Umdenkprozeß der Kirche hat. Er war 1981 zu einer Kosmologie-Tagung im Vatikan eingeladen. Dort vertrat er die Theorie - man nannte sie dort ketzerisch - daß das Universum schon vor dem Urknall existiert habe. "Ein All aber", argumentierte Hawking, "das schon immer existiert, bedürfe keines Schöpfergottes".

Ich muß sagen, mich hat es nicht besonders erregt, denn das eine ist so falsch wie das andere. Daß der Klerus in der heutigen Zeit "einen Uranfang vor dem Urknall" nicht mehr ausschließt, entspringt nach meiner Auffassung dem Bestreben der Kirche, ihren Ruch als Feind der Wissenschaft abzulegen. Zeit dafür ist es ja. Benedikt XVI. hat 2011 den protestantischen Schweizer Wissenschaftler Werner Arber zum Präsidenten der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften ernannt. Arber ist von der Offenheit des Vatikans beeindruckt: "Es gibt viele Nicht-Katholiken in der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften. Und was mich sehr erfreut, ist die Tatsache, daß auch viele Frauen dabei sind."

Gibt es also Hoffnung am Horizont?