bearbeitet: 27.08.2016    

Seltsames über die Mathematikprüfungen für Grundschullehrer
Eine Stellungnahme von Dr. Manfred Pohl

Die Berliner Zeitung vom 26.08.2016 schreibt unter der Überschrift "Angehende Lehrer fallen durch Prüfung" den Untertitel "Grundschulpädagogen sind erbost wegen schwerer Mathe-Arbeit an der Freien Universität".

Dort heißt es einleitend: "Viele angehende Grundschulpädagogen an der Freien Universität (FU) sind erbost. Denn fast 40 Prozent von ihnen sind durch eine Klausur im Pflichtfach Mathematik gefallen, auf die sie sich mit großem Zeitaufwand vorbereitet haben."

40 Prozent der Studenten haben also die Mindestpunktzahl nicht erreicht. Zum Glück sind nach dem 2014 erlassenen Lehrkräftebildungsgesetz Mathematik und Deutsch endlich wieder Pflichtfächer, sonst hätten wieder viele Mathematik abgewählt.

Schauen wir, wann diese 90 Minuten dauernde Klausur geschrieben wurde. Nicht etwa am Anfang des Studiums, nein, im 4. Semester des Bachelorstudiums. Zwei Semester lang hatte man sich darauf vorbereitet.

Und nun sehen wir uns die Aufgaben an. Ich nehme sie in der Reihenfolge mit dem Schwierigkeitsgrad aufwärts.

3. Wie verändert sich das Volumen eines Würfels, wenn sich die Seitenlänge verdoppelt?
Zur Lösung dieser Aufgabe benötigt man eine Zeit von weniger als 5 s. Man weiß, daß V = a3 ist. Das Volumen des vergrößerten Würfels ist mithin V1 = (2a)3 = 8a3. Heißt, das Volumen verachtfacht sich (V1 = 8V).

2. Division 64.976 : 4 = y. 64,976 : 0,004 = ?
64,976 : 0,004 ist natürlich auch y, weil Divisor und Divident durch 1000 geteilt wurden. Da nicht einmal verlangt wurde, den Wert y = 16.244 numerisch zu ermitteln, war diese Aufgabe in weniger als 10 s lösbar.

5. Setze Klammern, so daß a) der Wert unverändert bleibt und b) das Ergebnis 0 wird: 34 · 34 - 33 - 1.
Beide Lösungen fallen ohne ausgedehnte Rechnungen mühelos ins Auge:
         a) (34 · 34) - 33 - 1 und
         b) 34 · (34 - 33 - 1).
Die Lösungszeit beträgt maximal 15 s.

4. Sind folgende Dreiecke konstruierbar?
         1. a = 5,5 km     b = 5,8 km     c = 600 m
         2. a = 5 cm        b = 6 cm        c = 0,3 dm
         3. a = 0,123 m   b = 1 cm        c = 0,3 dm
Für diese Aufgbe benötigt man die einfache Überlegung, daß ein Dreieck nur dann nicht entstehen kann, wenn es zwei Seiten gibt, deren Längensumme kleiner als die Länge der dritten Seite ist. Nach kurzem Hinsehen ist sichtbar: Es ist nur bei 3. der Fall:
b + c < a, 1 cm + 3 cm < 12,3 cm. Heißt, nur das Dreieck 3. ist nicht konstruierbar.
Zur Lösung dieser Aufgabe benötigt man maximal 30 s.

Nun sind wir bei einer Gesamtlösungszeit kleiner als 1 min. Das Niederschreiben dauert, wenn man langsam schreibt, ganz sicher weniger als 5 min. Somit ist bis hierher die Gesamtarbeitszeit maximal 6 min. In 90 min kann man also rund 60 Aufgaben dieser Niveaustufe lösen und aufschreiben (90 min : 6 min · 4).

Sicher wurden so viele Aufgaben nicht gestellt. Im Zeitungsbeitrag wurden 5 genannt. Sollte die Klausur nur aus diesen 5 Aufgaben bestanden haben, stünden für die übrige als erste genannte Aufgabe noch mehr als 84 min zur Verfügung. Bei dieser Aufgabe mußte man etwas überlegen, nachdem man die gegebenen Zusammenhänge analysiert hat, aber fast anderthalb Stunden benötigt man dafür keinesfalls:

1. Wenn (a, b)R(c, d), dann a + d = b + c.
         - Gib drei mögliche Repräsentanten für die Äquivalenzklasse (0, 1) an
         - Wie stellt man die Äquivalenzklasse (0, 1) als Menge dar?
         - Zeige, daß die Relation symmetrisch ist!
In der Reihenfolge:
         - zum Beispiel (1, 2) oder (2, 3) oder (3, 4)
         - die Menge der Äquivalenzklasse ist [(0, 1)] = {(a, a+1) | a Element N}
         - (a, b) R (c, d) heißt a + d = b + c, da nun c + b = d + a ist, ist auch (c, d) R (a, b)

Berücksichtigt man nun, daß die Studenten, die an dieser Klausur teilgenommen haben, alle Abitur haben (sonst könnten sie nicht an der FU Pädagogik studieren), stellt sich die Frage, was sie in den Jahren bis zum Abitur in Mathematik wohl gemacht haben, denn die Abituraufgaben in Mathematik sind wesentlich schwieriger als die hier genannten (ich weiß, wovon ich rede - ich bin an einem Gymnasium beschäftigt).

Ich sage es an dieser Stelle in klarem Deutsch: Studenten, die in dieser Klausur nicht die Mindestpunktzahl erreichen, sollten das Ziel, Lehrer zu werden, aufgeben. Sie würden in ihrer Tätigkeit mit großer Wahrscheinlichkeit schon von einigen Schülern der 2. oder der 3. Klasse in Mathematik rundweg überrollt werden. Kein gutes Omen für einen Lehrer!

Doch nun komme ich zum Unglaublichen an dieser Geschichte: Eine Sprecherin der Studenten, Neele Rother, führt Klage darüber, daß die mathematischen Anforderungen für Grundschullehrer deutlich zu hoch seien. "Gerade im Hinblick auf Arbeitsaufwand und Schweregrad." Der Stoff, der in dem Modul behandelt werde, komme in den Grundschulen so gut wie gar nicht vor. "In dem gesamten Jahr hatten wir das Gefühl", sagt sie, "wir opfern unser gesamtes Leben nur für Mathematik auf." Angesichts der oben behandelten Aufgaben und dem gezeigten "Schweregrad" ist das wohl eher eine peinliche Selbstentlarvung denn ein Grund für eine Beschwerde. Geht man denn etwa nicht mehr davon aus, daß ein Lehrer ein tiefgründigeres Wissen haben muß, als die Schüler? Muß er das nicht auch in Mathematik haben? Wo ist denn die positive Lerneinstellung der angehenden Lehrer, die sie ihren Schülern vermitteln sollen? Wie wollen sie denn das machen, wenn sie solche einfachen Anforderungen nicht bewältigen können? Nun, wenn sich diese Haltung hernach im Fach Deutsch genauso darstellt, bin ich überzeugt, daß die deutsche Sprache mit dieser Lehrergeneration weiteren Schaden erleiden muß.

Und nun komme ich zu dem sehr bedauerlichen Ergebnis dieser unsäglichen Debatte: Die Universitätsleitung knickt angesichts einer angekündigten Klage der Studenten ein. Wovor fürchtet sie sich? "Die Prüfung sei erstmals durchgeführt worden. Der Veranstaltungszyklus wird im Anschluß regulär evaluiert." Heißt das, daß man das Niveau der Ausbildung absenken muß, wenn die Damen und Herren Studenten die mathematischen Anforderungen an das Studium nicht erfüllen können oder wollen? Selbstverständlich würden dabei auch Hinweise und Kritik der Studenten berücksichtigt, teilte Goran Krstin, Sprecher des FU-Präsidenten Peter-André Alt, mit. Man kann schon vorher absehen, daß die Hinweise und die Kritik der Studenten eine noch weitere Verringerung des Niveaus beinhalten werden, das auch so schon niedrig genug ist. Und nun beabsichtigt man außerdem noch, die potentielle Aversion einiger Studenten gegen die Mathematik juristisch sanktionieren zu lassen.

Bleibt nur zu hoffen, daß im Falle eines Rechtsstreits ein Gericht den erbosten Studenten sagen wird, auf welche Lerninhalte sie sich an einer Universität einstellen müssen. Der Universitätsleitung muß man sagen, daß die oben beschriebenen deutlich zu niedrig sind.


Ergänzung vom 02.09.2016:

Reaktionen.

Erwartungsgemäß habe ich einige Reaktionen auf den Beitrag erhalten. Die heftigsten davon sind die, die meine Ansicht ablehnen. Das sind, wie ich annehme, auch die, die im Grundsatz gegen jegliche Mathematik eingestellt sind. Für Lehrer ist das jedoch unakzeptabel. Alle zustimmenden Meinungen kommen bezeichnenderweise nicht aus den Reihen der angehenden Pädagogen.

Dann gibt es zwei ablehnende Kritiker, die zur Sache gar nichts sagen und offenbar meinen, wenn sie nur genügend an meinem Sprachstil herumdeuteln, sei meine Auffassung ausreichend widerlegt. Das nennt man, wie ich meine, sachferne Arroganz. Dazu merke ich an, daß ich in allen meinen deutschsprachigen Beiträgen im gesamten Portal die deutsche Sprache bevorzuge. Und die ist frei von staatlich verordneten Mißreformen und politisch inszenierten Genderverunstaltungen.