bearbeitet: 20.03.2002     

Die Sprache der Liebe

Einblicke in ein delikates Thema

Der theatralische Titel täuscht ein wenig. Natürlich bleibe ich bei der zum Teil bissig-satirischen Schreibweise, die die Leser meiner Seiten von mir kennen. An einigen Stellen gebietet das Thema aber auch einen unvermeidlichen Ernst, den ich unbedingt berücksichtigen werde. Sollten Sie Kritik an meiner Orthographie haben, so kann das – das will ich zu Beginn nicht unerwähnt lassen – nur daran liegen, daß Sie der Verballhornung der deutschen Sprache in Gestalt der Rechtschreibreform auf den Leim gegangen sind.

Zum Thema. Beginnen will ich mit einem Beispiel, das ganz am Anfang eines Lebens steht. Ein Kind wird geboren. Eine Geburtsurkunde muß geschrieben werden. Sie muß den Namen des Kindes enthalten, muß aussagen, wer die Eltern sind und ob es ein Junge oder ein Mädchen ist. Hier fangen die Sprachprobleme schon an, denn man sagt das so nicht. Man spricht von einem „Kind männlichen bzw. weiblichen Geschlechts“. Da stellt sich mir zum ersten Mal die Frage: Warum müssen die Juristen immer anders reden als die Menschen? – pardon – das Volk – na egal, ist auch nicht weniger kraß. Mädchen und Junge, auch Knabe, sind sehr schöne deutsche Wörter, zudem sind sie eindeutig, wie selten in einer Sprache. „Kind männlichen oder weiblichen Geschlechts“ ist unsinnig aufgedunsen, ist schwülstig. Außerdem ist es sachlich unrichtig. Bevor ein neugeborenes Kind Mann oder Weib wird, vergehen 15 bis 18 Jahre. Auf dem Wege dahin kann es sich auch ganz anders herausstellen. Das ist selten, aber es kommt vor. Junge oder Mädchen hingegen ist asexuell, also auch für Neugeborene zutreffend.

Nun, so sind wir schon mitten drin. Ein Kind, ein Ergebnis der Liebe, dokumentiert wie ein Apparat, mit schauderhaften Ausdrücken belegt. Ja, es ist wahr. Auch die Liebe hat ihre Sprache, und an ihr erkennt man, auf welche Weise die Menschen sich lieben. Damit Sie mich nicht falsch verstehen: Hier soll von der körperlichen Liebe gesprochen werden, von der menschlichen Sexualität. Bis auf ganz wenige Ausnahmen werden sicher alle Leser mit mir übereinstimmen, daß die Zeiten vorüber sind, in denen körperliche Liebe nach dem Willen der Kirche als reiner Zeugungsakt zu verstehen ist und die Lust und das Glücksgefühl dabei eine untergeordnete Rolle spielen oder gar als sündig anzusehen sind. Der Liebesakt ist Teil der Kultur, er verbindet Menschen in höchsten Glücksgefühlen, er trägt zum Erreichen eines erfüllten Lebens bei und dient nicht im mindesten ausschließlich der Zeugung. Ganz bewußt wird er vom Zeugungsakt getrennt. Durch viele Möglichkeiten der Schwangerschaftsverhütung haben die Menschen gelernt, ihren Familienzuwachs nicht dem Zufall zu überlassen, sondern sorgfältig zu planen, jedoch dies unabhängig von ihrem Sexualverhalten zu tun, auch wenn es dem Klerus nicht gefällt, und er in anachronistischer Selbstüberschätzung seiner Bedeutung noch heute gegen die Schwangerschaftsverhütung zu Felde ziehen möchte. Welch ein Glück, muß man an dieser Stelle festhalten, daß Staat und Kirche weitgehend getrennt sind.

Die menschliche Sexualität ist von ungewollten Schwangerschaften frei gemacht worden, sie ist vom Zeugungsakt unabhängig. Dies sind heute nach allgemeinen Volksauffassungen richtige und edle Verhaltensweisen, auf deren Grundlage uneingeschränktes, von Ängsten befreites, unbelastetes menschliches Glück erst ermöglicht wird. Für eine Überzahl der Menschen steht die Bewertung der Sexualität auf den vorderen Plätzen der Wichtigkeitsskala in einer Ehe. Ebenso ist auch die Ansicht, daß Ledige keinen Anspruch auf Sex hätten, überholt, so daß sich, um nur ein Beispiel zu nennen, junge Menschen vor der Ehe schon Klarheit darüber beschaffen können, ob sie den richtigen Partner gefunden haben.

Nun sind natürlich die Auffassungen vom Glück bei verschiedenen Menschen auch ganz unterschiedlich. Und so, wie ich im allgemeinen weit ab davon bin, allen Menschen gleiche oder ähnliche Ansichten nahezulegen, so gilt dies auch für die Sexualität. Es gibt auch im Liebesspiel beinahe so viele unterschiedliche Auffassungen, wie es Menschen gibt. Die einen mögen es wild und ungestüm, andere mögen es zärtlich und innig, wieder andere suchen extreme Situationen, Orte, Stellungen, Praktiken. Die einen wollen es kurz und heftig, andere mögen es langandauernd und intensiv. Deshalb kommt es sehr darauf an, daß die Partner zueinander passen. Wie auch immer, so ist doch alles auch von sprachlichen Äußerungen begleitet. Die Liebenden sprechen miteinander. Und das Vokabular, das dabei verwendet wird, ist sehr unterschiedlich.

Aber auch sprachlich müssen die Partner zueinander passen. Das ist für ein gemeinsames Erlebnis sehr wichtig. Ein Freund von mir, der überaus zartfühlend veranlagt ist, erzählte mir von einer Liaison mit einer Partnerin, die wohl nicht so gut zu ihm paßte. Bei einer zärtlichen Annäherung suchte er auch nach verbalem emotionalen Austausch: „Was fühlst du jetzt, was denkst du?“ Darauf erwiderte Sie: „Ich denke, du willst mich jetzt ficken“. Das war ein Desaster, und so beschrieb er es auch. Seine Erektion war binnen Sekunden weg. Plötzlich genierte er sich, nackt zu sein. Er hatte nur noch den Wunsch, so schnell wie möglich fort von ihr. Das peinliche war, das Mädel verstand nicht im geringsten, warum er sie so plötzlich nicht mehr begehrte. Ausdruckesweisen, die für sie sicher anregend zu sein schienen, waren für ihn ein Knüppel auf empfindliche Gefühlsregungen.

Oft muß man aber auch gerade in unserer Muttersprache nach angemessenen Ausdrucksweisen suchen. Noch allzuoft benutzen wir meisterliche Umschreibungen, wie das folgende Beispiel zeigen soll, die uns ganz sicher aus der Zeit anhängen, da es genierlich war, über die Dinge der Sexualität offen und klar zu reden. Ein Mann beabsichtigte, einer Frau, die offenbar nicht abgeneigt war, zu offerieren, daß er sie begehre. Dies tat er mit den Worten: "Junge Frau, ich möchte mit Ihnen schlafen", worauf sie seine unklare Rede konterte: "Also, wenn du schlafen willst, kannst du auch zu Hause bleiben".

Ebenso ungerichtet sprach man in früheren Zeiten von sogenannten „ehelichen Pflichten“. Meist verstand man darunter, daß die Ehefrau ihrem Mann auf Antrag stets zu Willen zu sein habe. Nun stammt das aus der Zeit, da der Mann die Familie ernährte und die Frau ihr Leben an Herd und Waschtrog bestritt. Damit war die Rolle des Mannes als Chef der Familie, der alles per Anweisung reguliert, vorgeprägt, was eine große Anzahl Männer auch auf die Sexualität ausdehnte. Ein Grauen jedoch, wenn sie für einen der Partner Pflicht sein soll. Ein Unding der Grundsatz: Männer wollen, Frauen gestatten oder haben zu erlauben. Es ist dies der Grundsatz, auf dem sexuelle Nötigung und Gewalt in der Ehe aufbauen und gedeihen können. Nun hat sich diese Gewalt in der Gesellschaft im großen und ganzen verloren, wenn wir von Einzelbeispielen einmal absehen wollen. Verschlissen ist die juristische Ansicht, es gäbe in der Ehe keine Vergewaltigung. Aber es sei auch am Rande vermerkt: Der Gesetzgeber hinkt dieser Entwicklung um eine Epoche hinterher. Gegenwärtig zeigen sich erst ganz vorsichtige Ansätze, sexuelle Gewalt auch in der Ehe unter Strafe zu stellen, so wie es unter Nichtverheirateten und insbesondere gegenüber Kindern seit langem der Fall ist. Es gibt nur eine akzeptable Voraussetzung für eine sexuelle Begegnung: Beide müssen sie wollen. Will einer sie nicht, gleich, ob Partnerin oder Partner, gibt es keinen Sex.

Nun ist die Sprache der Liebe keine einheitliche Sprache. Sie ist dreigeteilt, eher noch viergeteilt. Es gibt die Sprache der Mediziner oder allgemein der Wissenschaft, die Sprache der Juristen und die Sprache der Liebenden. Während die ersten beiden Sprachzweige in sich weitgehend einheitlich sind, geht die Sprache der Liebenden weit und kraß auseinander. Sprechen zum Beispiel die Mediziner vom Koitus, so sprechen die Juristen vom „Vollzug des Beischlafs“ (z. B. §§ 173, 175, 182 StGB) oder vom Geschlechtsverkehr. Unter den Liebenden findet man zwei diametral entgegengesetzte Ausdrucksweisen. Die einen sprechen von der Hingabe, dem innigen Beieinandersein oder der zärtlichen Vereinigung, die anderen reden vom Ficken, vom Vögeln oder vom Bumsen. Letztere halten die ersteren eher für altmodisch oder verklemmt. Nun ist das freilich Auffassungssache, aber dennoch gibt es einige objektive Regeln und Normen. Die frühere Auffassung von der Sexualität als Sünde und Teufelszeug ist überholt. Hier hat sich ein gesunder gesellschaftlicher Prozeß vollzogen. Aber die Emanzipation von dieser Ansicht führt heute auch zu unästhetischen Exzessen. Der Sex wird in einigen Kreisen zunehmend öffentlich. Man betreibt ihn in Parks, im Wald und auf Marktplätzen, und den Betreibern soll es den besonderen „Kick“ geben, was immer das sein mag. Es gibt eine ganze Branche, die den Sex nur zum Zwecke seiner Präsentation zeigt, ohne daß ein notwendiger Zusammenhang mit einer Handlung besteht, in der er eine erklärende Funktion hätte. Besonders abstoßend sind oft einige Erzeugnisse der pornographischen Filmindustrie. Die Darsteller führen das Vögeln um seiner selbst willen vor, machen dabei aber Gesichter, als hätten sie große Schmerzen. Begleitgeräusche entstammen keiner Sprache, erinnern mehr oder weniger deutlich an das Gebrüll wilder Tiere, passen oft überhaupt nicht zur Situation und sind in längerer Ausführung eher lästig. Die beabsichtigten Emotionen werden kaum oder nicht zum Zuschauer übertragen. Den Darstellern fehlt es am schauspielerischen Können und den Regisseuren an den filmischen Kenntnissen. Sicher kann es auch anders nicht sein, denn es sind dies Berufe, die im Regelfall ein Hochschulstudium voraussetzen. Und Menschen mit Hochschulbildung sind nun einmal nicht in beliebiger Zahl für solche Aufgaben zu gewinnen. Auch sind Menschen, unbesehen ob Frauen oder Männer, die sich zum Zwecke des Gelderwerbs öffentlich nackt präsentieren, nicht eben das ethische Normalbild des Volkes. Im Einzelfall kann dies sogar gemäß §§ 183, 183a StGB strafbar sein.

Sexualität sollte in aller Form intern bleiben. Der Begriff Intimsphäre hat nach wie vor volle Berechtigung. Einblicke Außenstehender in diese sehr persönliche Sphäre sind in der Regel unerwünscht und im Normalfall störend. Es ist in jedem Falle krankhaft, wenn die Sexualität als eine Art allgemeinbewertbarer Leistungssport betrieben wird. Sieger ist, wer den größten hat, wer am längsten kann; das Maß für die erbrachte Leistung ist die summare Amplitude der Unterleibsbewegungen, gemessen in Meter Penis pro Minute. Frauen werden erst mit riesengroßen Titten akzeptabel; was die Natur nicht hergab, muß der Chirurg nachfüllen, sofern man sich das leisten kann. Das Fernsehen ist voll von gegenseitigen Siliconbeschuldigungen öffentlichkeitsgeiler Weiber, die aus solchen Sensationssüchten oder auch den Ergebnissen der Wägung ihrer Brüste Prominentenkapital schlagen wollen. Geist und menschliche Würde spielen keine Rolle, Hauptsache, es bringt ein paar Euro. Solche Verkündungen sind empfindungslos, sie zerstören den ureigensten Inhalt der Sexualität. Man verfolgt gelegentlich solche Berichte eher mit abgeklapptem Unterkiefer über soviel Geschmacklosigkeit. Es wäre an der Zeit, daß bei den Medien hin und wider doch noch ein paar andere Werte den Vordergrund beherrschten, als lediglich die Einschaltquoten. Die Kultur geht im Fernsehen ohnehin schon durch die allzuoft und überaus lästig plazierten Werbeblöcke verloren, geht sie nun auch noch im Inhalt dahin, steht das Medium insgesamt in Frage.

Beobachtet man solche Veröffentlichungen aus sprachlicher Sicht, ist es auch nicht von höherer Erbaulichkeit, weil bei den Probanten solcher Erzeugnisse fast immer die geistige Verarmung mit der sprachlichen einhergeht. Oft haben die genannten Personen Probleme bei der Formulierung eines Satzes und werden nicht selten daraufbezogen bei ihren Auftritten von den organisierenden Journalisten aufs Kreuz gelegt, indem ihre Schwächen glossierend offengelegt werden, mitunter ohne daß die Betroffenen selbst es bemerken. Es bleibt jedem für sich zu beurteilen, ob sie neben der körperlichen Entblößung diese peinlich wirkende geistige Bloßstellung verdient haben.

Die saubere und respektvolle Abbildung der Nacktheit und des Liebesaktes oder aber seine beschreibende Darstellung kann etwas ästhetisch sehr schönes und anregendes sein. Voraussetzung dafür ist ein hohes Niveau der Realisierung. Vernachlässigungen führen gerade in diesem sehr empfindlichen Metier sehr rasch zur völligen Zerstörung der Würde und verunstalten das beabsichtigte Kunstwerk in seinem Grundanliegen. Die sachlich nüchterne Ausführung von Bild und Text zum Zwecke der wissenschaftlichen Erörterung sexualtheoretischer Probleme ist dabei ebenso betroffen wie die künstlerische Verarbeitung des Themas, mit der Gefühle übertragen werden sollen, mit der die Liebe angesprochen wird. Auch bei ersterem nämlich kann eine ungebildete Hackmesserdarstellung ethisch verletzen und damit der Sinn des Werkes verloren gehen. Jedoch kommt das seltener vor, da die Autoren in der Überzahl ihre Erzeugnisse mit hohem Verantwortungsbewußtsein und wissenschaftlicher Gründlichkeit ausarbeiten. Hingegen gibt es in der künstlerischen Aufbereitung des Themas eine viel größere Zahl von Möchtegerngrößen, die in Ermangelung notwendiger Kenntnisse sowie auch wegen fehlender moralisch-ethischer Qualitäten die Inhalte verreißen oder absichtlich sensationslüsterne Machwerke erzeugen, die sich bei vielen Zeitgenossen gut vermarkten lassen. Und stets sind diese Dinge mit der Sprache verbunden, so daß zur Vermeidung solcher Fehlleistungen neben hoher allgemeiner geistig-ethischer Entwicklung auch große sprachliche Meisterschaft unabdingbar ist.

DMP